Wenn es denn nur ums Zerstören ginge…

Wie trotzt wenig überzeugender Argumente zu korrekten Einsichten gelangt werden kann, bewies jüngst Christian Reiermann mit einem Essay im SPIEGEL über die Widerstandsfähigkeit des Kapitalismus. Dieser sei „Nicht kaputt zu kriegen“ (Der SPIEGEL, 24/2020, S. 78-79), auch nicht in Zeiten von Corona. Unter den Kapitalismuskritikern macht der Autor von Karl Marx bis Kevin Kühnert (man beachte das Gefälle) eine Ahnenreihe der Untergangspropheten aus, die seit knapp 150 Jahren Irrtum an Irrtum reihten. Weiterlesen

Braune Handreichung

Man hat um die unmittelbare Gefahr noch gar nicht gewusst, da flattert auch schon der Appell zur Rettung der Demokratie in den Briefkasten; in Kapitalien grölt es die AfD Baden-Württemberg einem entgegen: „BÜRGER, VERTEIDIGT EURE GRUND- & FREIHEITSRECHTE!“ Damit nicht genug: Dreifach unterstrichen ist der Aufruf – in schwarz, rot und gold, was insofern sinnvoll erscheint, als ja nicht immer ganz klar ist, von welchem Land die AfD eigentlich spricht. Weiterlesen

An anderem Ort…

ist ein Aufsatz von mir erschienen, der sich mit dem kläglichen Zustand der Sozialdemokratie auseinandersetzt. Angelehnt an das vieldiskutierte Kühnert-Interview, in dem der Juso-Vorsitzende seiner Partei das Fernziel eines demokratischen Sozialismus in Erinnerung rief, gibt es in meinem Text den Rückverweis auf „älteste Prinzipien“ sozialdemokratischer Politik – allerdings nur insoweit, wie diesen Prinzipien noch Gegenwart (und damit auch Zukunft) zukommt. Dies gilt insbesondere für den Klassenwiderspruch, der in den vergangenen Jahrzehnten hinter reichlich ideologischem Blendwerk verschwunden und gerade aus diesem Grund stabiler denn je ist.

Der Text Die Sozialdemokratie auf ihrer „klapprigen Rosinante“ ist im Blog des Göttinger Instituts für Demokratieforschung erschienen.

Kraftmeiernde Schwächlinge

Kurz vor dem Dekabristenaufstand von 1825, einem Aufruhr einiger Adliger mit dem Ziel ein wenig republikanischen Einschlag in den Zarismus zu bringen, spülte es Nikolaus I. auf den russischen Thron – einen unsicheren, kleinlichen, immerzu argwöhnenden, intellektuell ganz und gar mittelmäßigen Menschen, der um seine Makel wusste und andere um ihre Talente beneidete. Nikolaus schloss den Griff ganz fest um Russland, ließ die Aufständischen hinrichten oder verbannte sie nach Sibirien, verschärfte die Zensur und richtete einen vieläugigen Spitzelapparat ein. Weiterlesen

Aus Washington nichts Neues

Das politische Portrait steht und fällt mit der Person, der es sich zuwendet. Wo es Pläne und Inszenierungen zu enthüllen, Weltanschauungen zu entknoten gibt, lohnt der genaue Blick; der Text kann gelingen. So wie etwa bei George Packer, der vor einigen Jahren ein großartiges Stück über die Kanzlerin für den „New Yorker“ geschrieben hat. Über die Person Angela Merkels entdeckte Packer den politischen Tiefschlaf eines ganzen Landes. Oder Henning Sußebach, der für die ZEIT Markus Söder begleitete und einen geltungssüchtigen Überehrgeizling kennenlernte, dem für den Weg nach oben keine Inszenierung zu gewagt ist. Es ist wenig überraschend, dass solche Texte über den derzeitigen amerikanischen Präsidenten nicht existieren.

Weiterlesen

Horsts Evergrey – eine Polemik

Was gerne immer wieder gehört wird, was dabei seine Frische nicht einbüßt, wird Evergreen genannt. Im Gegensatz zu immergrünem Liedgut, das durch die Jahrzehnte wandert, kommt die leidige Debatte um den Islam, Deutschland und die Leitkultur mindestens als Evergrey, vielleicht auch schon als Everblack daher. Weiterlesen

Übers Beutemachen an unruhig gewordenen Menschen

Geschichte wiederholt sich nicht, niemals. Doch strukturelle Ähnlichkeiten gibt es sehr wohl, sodass der Hegel’sche Satz, das Einzige, was man aus der Geschichte lernen könne, sei, dass noch nie etwas aus ihr gelernt wurde, nicht zwangsläufig wahr sein (oder: bleiben) muss. Ohne mit einem neuen konfrontiert zu sein, lassen sich etwa in Sachen diplomatischer Entspannung sicherlich Lehren aus dem (alten) Kalten Krieg ziehen; ohne aus einem Zuckerberg einen Rockefeller zu machen, lohnt in der Frage, wie mit allzu mächtigen Unternehmen umzugehen sei, bestimmt auch ein Blick auf die vorletzte Jahrhundertwende; ohne schließlich Nazi zu sagen und die AfD samt Anhänger zu meinen, kann auch der Rückblick auf die 20er und 30er Jahre, auf den Aufstieg der Rechten und die Schwäche der Linken, erhellend für die Gegenwart sein. Weiterlesen

Die Idylle Europa

Viele Menschen wollen sich im Anderen gespiegelt sehen; am nächsten ist ihnen, was Ähnlichkeit aufweist. Vermeintlich idyllisch geht es zu, wo einen Vertrautes umgibt, Veränderungen – wenn überhaupt – nur berechenbar eintreten. Das Fremde bricht in ein solches Idyll als Verunsicherung ein, es macht zementiert Geglaubtes porös. Deshalb hat bisher noch jede Idylle eine kaum passierbare Grenze umgeben – so auch die Idylle Europa, die als Zerrbild rechtskonservativer Politik heute lebendiger denn je ist. Weiterlesen

Montage contra Krieg

Vieles hat seinen gewöhnlichen Platz, ist durch die Konvention gebunden. Vor allem Sprachliches, allgemeiner: Kulturelles, überkommt die Menschen mit einer scheinbar festen Bedeutung; qua Geburt scheint es in dieser Hinsicht kein Entkommen zu geben: Die Zeichen präsentieren sich mit starrem Verweis. An der Kunst ist es, hieran zu rütteln. Sie kann montieren, Kulturelles in fremden Kontexten platzieren, so die Konvention brechen und neue Bedeutungen schaffen. Mitunter ist dieses Neue wie eine Klärung, wie ein Herabsinken von Schleiern – die Gewohnheit war dann nur Täuschung, zuweilen weit entfernt von der Realität. Zwei Beispiele, beide blutig: Weiterlesen

Eine Pharaonin aus der Uckermark

Die drängendste Frage der Gegenwart, die nach den Ursachen für den Aufstieg der Rechtspopulisten und Demagogen, der Lügner und Rassisten, kennt viele Antworten. Einige sind an dieser Stelle bereits versucht worden – die wachsende soziale Ungleichheit, eine Debatte in Extremen, Medien, die sich den Abstand zum Ereignis nicht mehr leisten (können oder wollen). Eine Antwort jedoch fehlt, taucht auch anderswo höchstens marginalisiert auf: Gemeint ist der Dämmerzustand, den etwas mehr als eine Dekade Merkel’scher Kanzlerschaft über die Demokratie in Deutschland gebracht hat. Weiterlesen