Der Wert der Werte – Über einen Tauschhandel

Nach der Moral wird am Ende gefragt, wenn die Folgen unethischen Verhaltens für jedermann sichtbar sind – das ist ein alter Hut. Als etwa die Kapitalmärkte blühten, in den Jahren vor 2008, hat kaum jemand ethische Abwägungen darüber angestellt, was eigentlich genau in den Banken mit fremder Leute Geld angestellt wird. Derlei Abwägungen hätten das Geschäft ausgebremst, zudem einen stillschweigend eingegangenen Tauschhandel in Frage gestellt. Weiterlesen

Abstraktes Recht im Autoland

Strafen, die in moralischer Hinsicht einen blinden Fleck haben, aus denen alle Ethik entwichen ist, dominieren, wenn es um Vergehen rund ums Auto geht. Dies lässt sich im Kleinen beobachten, etwa bei Tempoverstößen, als auch bei umfassenderen Straftaten wie den Abgasmanipulationen durch Volkswagen. Die Strafe tritt dann losgelöst neben die Tat, was den Sündern ganz Recht, der Politik scheinbar gleichgültig ist. Weiterlesen

„Lass mich dir ein Vater sein“

Die Rede vom Klassengegensatz wirkt antiquiert. Nicht die Wurzel vieler Übel, sondern ihre Eindämmung mithilfe von Reformen dominiert die Tagespolitik. Dass ein Radikalwerden im wörtlichen Sinn, ein Packen der Probleme an ihren Wurzeln, ausbleibt, hat (u.a.) mit der Verschleierung des Klassengegensatzes zu tun. Seit jeher ein beliebtes Mittel fürs ideologische Handwerk: Die Kostümierung des Kapitalisten als fürsorglich-strafender Patriarch, der über die ‚Familie‘, sprich sein Unternehmen, herrscht. Weiterlesen

Konsumentenansprache in der Werbung – gestern und heute

„Ich will nicht die Schrotflinte. Ich will den Sniper“ – kein General spricht hier über seine Truppen, sondern der Unternehmer Samy Liechti über Werbemöglichkeiten in Zeiten von Big Data. Das Martialische der Wortwahl kommt nicht von ungefähr: Der Kunde ist nicht zuerst König, sondern der gesättigte Feind des Wirtschaftswachstums, dem Dinge angedreht werden müssen, die er eigentlich nicht benötigt. Stets muss er im Visier gehalten werden, sodass im richtigen Moment zum zielgenauen Abschuss angesetzt werden kann. Dies ist Aufgabe der Werbung, die in der neuen Datenfülle ihr Himmelreich entdeckt hat. Noch ist sie kaum durch dessen Pforten getreten, da ist die grundsätzliche Entwicklung bereits absehbar: Die kollektive Konsumentenansprache weicht der individuellen. Weiterlesen

Herr Niersbach führt Selbstgespräche

Im Profisport – in den Vereinen als auch in den Verbänden – ist es (Un)Sitte geworden über eine hauseigene Berichterstattung zu verfügen. Die Verschmelzung von demjenigen, der berichtet, und demjenigen, über den berichtet wird, mag noch vernachlässigbar sein, wenn die angestellten ‚Journalisten‘ den Neuerwerbungen des Klubs die immer gleichen Fragen stellen oder exklusiv vom Trainingsgelände berichten können, dass sich Spieler XY beim Nachmittagstraining verkühlt hat. Problematisch wird der Journalist, der keiner ist (weil ihm die Unabhängigkeit abgeht) in dem Moment, da es um schwere Anschuldigungen geht, um all die Themen, die der Sportberichterstattung längst zum dauerhaften Begleiter geworden sind – um schwarze Kassen, Korruption und Bestechungen. Weiterlesen

Kopflos im Kapitalismus

Es scheint eine Metonymie die Personalabteilungen vieler Unternehmen zu regieren: „Wir brauchen neue Köpfe!“ Während der Ruf noch durch die sterilen, vollverglasten Konferenzräume hallt, ist der Headhunter bereits aktiv geworden; eine Berufsbezeichnung scheint den Kotau vor einer rhetorischen Figur zu machen. Tatsächlich jedoch steht zu befürchten, dass der gegenwärtige Kapitalismus für deratige sprachliche Feinheiten nichts übrig hat, stattdessen die Forderung nach den „neuen Köpfen“ wörtlich meint. Weiterlesen

Fleischbeschau in der Taiga

Es ist das immergleiche Schauspiel im Aufeinandertreffen von Arm und Reich, über Jahrhunderte hat es sich eingeschliffen: Der Unterdrücker, der einem Ketten anlegen wird, kommt im Gewand des Wohltäters. In der Maskerade des Menschenretters sprudeln nichts als große Worte und Versprechungen aus seinem Mund. Wo die Menschen Not und Elend kennen, trifft das Geschwätz auf einen besonders fruchtbaren Boden. Ein solcher Untergrund ist auch in der sibirischen Taiga bereitet, die großen Worte sind an junge Mädchen und ihre Familien gerichtet, ihr Inhalt handelt von einer glanzvollen Karriere als Model, von der weiten Welt und von finanzieller Absicherung für die gesamte Familie. Weiterlesen

Der dressierte Angestellte

Es regiert die Dressur, nicht nur im Zirkus, sondern mehr denn je auch in der Arbeitswelt. Bunt geht es zu, hier wie dort. Doch im Unternehmen existiert die Bonbonwelt nicht, um der Phantasie Höhenflüge zu verschaffen. Sie soll die Arbeitnehmer einlullen, sie von ihrer Persönlichkeit, letztlich von ihrem gesamten Leben außerhalb der Arbeit entwöhnen, um die Dressur zu erleichtern. Weiterlesen

Der Mangel und das Zuviel am Krankenbett

Die Frage geht an den Kranken: „Fehlt Ihnen etwas?“, „Was fehlt Ihnen denn?“ Millionenfach vernommen, in Arztpraxen, in Kinderzimmern, in Büros und Schulen. Die Krankheit erscheint als ein Mangel, ein Mangel an Gesundheit, die dem Kranken abhanden gekommen ist. Tatsächlich sind viele Krankheiten jedoch durch ein Zuviel, nicht durch einen Mangel gekennzeichnet: ein Zuviel an Viren und Bakterien, ein Zuviel in Gestalt von Geschwüren und Tumoren, ein Zuviel auch in der Gedankenwelt, in der plötzlich ein zweites Ich auftaucht, jemand einen zwingt die eigenen Atemzüge zu zählen oder längst verstorbene Verwandte wieder auferstehen. „Was fehlt Ihnen denn?“ – die korrekte Antwort müsste folglich lauten: „Nichts!“ Weiterlesen

Der Werktag als ewiger Sonntag

Flüchtig besehen passen sie nicht zusammen: das große Haus steht der kleinen Wohnung gegenüber, der Überfluss dem Begnügen mit dem Notwendigsten, ein von raschem Wandel geprägtes Leben einem weitestgehend statischen. Nein, der Reiche, der von fremder Hände Arbeit oder gleich von seinem Vermögen lebt, hat mit dem Arbeitslosen, der sich freiwillig mit seiner Sozialhilfe begnügt, noch jedes Jobangebot ausgeschlagen hat, auf den ersten Blick nichts gemein. Und doch gleichen sie einander in ihren Wunschlandschaften: beide träumen – der eine im Himmelbett, der andere auf der Pritsche – vom süßen Leben ohne Mühsal. Weiterlesen