Flüchtig besehen passen sie nicht zusammen: das große Haus steht der kleinen Wohnung gegenüber, der Überfluss dem Begnügen mit dem Notwendigsten, ein von raschem Wandel geprägtes Leben einem weitestgehend statischen. Nein, der Reiche, der von fremder Hände Arbeit oder gleich von seinem Vermögen lebt, hat mit dem Arbeitslosen, der sich freiwillig mit seiner Sozialhilfe begnügt, noch jedes Jobangebot ausgeschlagen hat, auf den ersten Blick nichts gemein. Und doch gleichen sie einander in ihren Wunschlandschaften: beide träumen – der eine im Himmelbett, der andere auf der Pritsche – vom süßen Leben ohne Mühsal. Die Arbeit, die sie sich ohnehin nur als Qual vorstellen können, ist in ihren Entwürfen nicht abgeschafft, sie wird schlicht von anderen verrichtet. Der Werktag wandelt sich in einen nie endenden Sonntag. Es ist ein Leben auf Kosten der Gemeinschaft, für das der eine bewundert, der andere hingegen verachtet wird.

Der Wunsch nach ewiger Freizeit ist – als ein weit verbreiteter – vergleichsweise jung. Sicherlich, alle Epochen kannten ihre Müßiggänger, sie fanden sich vornehmlich in den herrschenden Schichten. Ein Aufstieg in diese Sphären war jedoch lange Zeit unmöglich. Das Nichtstun wurde einem in die Wiege gelegt, sodass es kein Traum für die Masse sein konnte. Für die Mehrzahl der Menschen war die Arbeit untrennbar mit der Erhaltung des eigenen Lebens verbunden, ein Verständnis von Freizeit existierte schlichtweg nicht.

Mit den bürgerlichen Revolutionen wurde schließlich (auch) die Ausbeutung für eine kurze Zeitspanne demokratisiert. Wer zuvor unter der Knute von König und Fürst stand, der hatte nun die Möglichkeit selbige in Richtung der Lohnabhängigen zu schwingen. Die flächendeckende Durchsetzung der Lohnarbeit als spezialisierte Tätigkeit – fern von Hof und Familie, für fremde Herren und bei niedrigstem Verdienst – ermöglichte unvorstellbare Vermögen in privater Hand zu bündeln. Auf diese richtete sich fortan die Vorstellungskraft eines jeden Unternehmers. Zugleich brachte die Lohnarbeit eine Arbeiterschaft hervor, die sich – entfremdet und erniedrigt von der eigenen Tätigkeit – nach der Stechuhr zu richten lernte. Hiermit war nun auch die Freizeit in der Welt und zwar als Gegenteil der Arbeit: keine Qual, keine Hatz, kein Druck, keine Vorschriften, keine Fremdbestimmung. Diese Erholung, die keine ist, weil sie stets die Mühsal des kommenden Arbeitstages am Horizont sieht, war Flucht, aber stets nur eine zeitweilige.

Sie zu einer dauerhaften zu machen ermöglichte – zumindest in Europa – der Sozialstaat, als vorerst letztes Zugeständnis des Unternehmertums an die Abgehängten und Schwachen, nachdem schweren Herzens bereits die Kinderarbeit, der Sechzehn-Stunden-Tag und die Hungerlöhne aufgegeben werden mussten. Mit dem vorläufigen Schlussstein einer leistungsunabhängigen Grundsicherung wurde letztlich auch der Raum geschaffen für das ärmliche Ebenbild des Kapitalisten, das auf den untersten Sprossen der gesellschaftlichen Leiter die Hände aufhält, ganz wie sein betuchter Bruder es auf den obersten tut.

Manch einem mag der Vergleich noch quer im Hals stecken: hat nicht der Vermögende eine Zeitlang zumindest gearbeitet, wahrscheinlich sogar sehr intensiv? Hat er sich den ewigen Sonntag nicht verdient? Was hier Arbeit genannt wird, ist oftmals nur die Organisation selbiger, wobei der Manager, der sich am ungeschicktesten anstellt, noch die größte Abfindung einstreicht – die Leistungsgesellschaft scheint ausgerechnet in den Zirkeln ihrer glühendsten Verfechter ausgesetzt zu sein. Andernorts ist es ein einziges Lied oder zehnjähriges Balltreten, wodurch sich ein Vermögen anhäuft, mit dem mehrere Dutzend Leben bestritten werden könnten; oder es ist die Anstellung in der Finanzwirtschaft, das für das Gemeinwohl nachweislich schädliche Hin- und Herschieben von Unsummen, das selbige auf den eigenen Konten entstehen lässt; oder es ist die fixe Idee aus der Start-up-Szene, die in Rekordzeit Millionäre und Milliardäre hervorzubringen vermag, ohne dass je ein Gewinn erwirtschaftet wurde.

All dies sind Spielarten jener Form von ‚Arbeit‘, die zu unvorstellbarem Reichtum führt, die ein Leben ohne Mühsal ermöglicht. Ein Leben, das fortan allein von der Gemeinschaft getragen wird, denn diese erhält mit tatsächlicher Arbeit den Wert des Geldes auf den Konten der Reichen. Wenngleich es sich faktisch längst selbstständig gemacht hat, das Geld benötigt zumindest den Anschein eines Gegenwerts. Diesen besorgt die Gemeinschaft, mit ihm spielen die Vermögenden an den Börsen. Tagtäglich kalkulieren sie, wie weit sie den monetären Inzest noch treiben können. Von derart Handelnden geht eine Gefahr für das Gemeinwesen aus, nicht von den bemitleidenswerten Gestalten, die ohne Ziel und Antrieb sich ab und an im Fernsehen vorführen lassen, sich dort für ein paar Euro dem Volkszorn aussetzen. Die Hände, die der Vermögende aufhält, sind weit größer, auch bedrohlicher.

So erhalten sich der Arbeitsunwillige und der Reiche, eingehüllt in das Gewand der Demokratie, einen alt-aristokratischen Lebensstil, was ersterem wohl nicht bewusst ist, von letzterem stets bestritten wird. Den Arbeitsunwilligen verbindet mit dem Adel von einst, dass seine Existenz auf Kosten der Gemeinschaft aus einer modernen Spielart des Geburtsrechts abgeleitet ist. War dies anno dazumal das Gottesgnadentum der hohen Geburt, so ist es heute der mit dem ersten Luftzug hinzugewonnene Zusatz ‚Staatsbürger‘, der als Legitimation herhalten muss.

Auf derart plumpe Rechtfertigungsmuster mag sich die Geldelite nicht zurückziehen. Wenngleich es faktisch in ihren Kreisen immerzu aristokratisch herging und noch heute hergeht (wer vermögend geboren wird, wird auch vermögend sterben), machten ihre Vertreter doch nie den Fehler ihren Reichtum mit der Geburt zu begründen. Stattdessen verbreiteten sie das Märchen vom Aufstiegsversprechen, wonach es jeder – wenn er nur tüchtig genug sei – nach oben schaffen könne. Die Ausnahme wurde kurzerhand zur Regel erhoben. Ihre Rechtfertigungsgeschütze sind bis heute mit Begriffen wie „Leistung“, „harte Arbeit“, „Arbeitsplätze schaffen“ und „Ehrgeiz“ bestückt, die sie im Flächenbombardement über der Welt niedergehen lassen. Der Effekt kann nicht geleugnet werden: die Menschen lassen sich von Platzpatronen erschrecken. Denn nichts Anderes als Worthülsen kommen hier zum Einsatz: wenn „Arbeit“ gesagt wird, ist allzu oft Unterdrückung gemeint, „Leistung“ steht für die eingekaufte Bildung, die unter seinesgleichen in elitären Einrichtungen erworben wird, „Ehrgeiz“ für das Bestreben Vatis Heer von Lohnabhängigen dereinst noch zu vergrößern.

Derartige verbale Nebelkerzen sind notwendig, um die Ähnlichkeit mit den Arbeitsunwilligen zu verschleiern – der Bruder in Lumpen ist nicht vorzeigbar. Die Ablenkung funktioniert so gut, dass der Reiche für sein parasitäres Dasein vielfach noch bewundert wird. Der gemeine Mann meint in seinem Unterdrücker, der ihn ewig kleinhalten wird, ein besonders vortreffliches Exemplar aus den eigenen Reihen erkannt zu haben. Das Glück und die Gnade der Geburt werden mit Fleiß verwechselt. Der Arbeitsunwillige erfährt derartige Huldigungen nicht, er wird stattdessen mit Schimpf und Schande überzogen. Ihm fehlt schlicht der Prunk. Seinem Leben geht der Glanz ab, der den Kotau erst angemessen erscheinen lässt.

Ebenso der Verschleierung dient die großzügige Geste an die Armen. Vor allem in den USA formen Spenden, Stipendien und Stiftungen den Vermögenden im kollektiven Bewusstsein zum Samariter um. Dass es diesen nicht gibt, dass letztlich nur das schmuddelige Pendant des Reichen von der Straße geholt werden soll, dass über eine solche, von Einzelpersonen getragene Wohlfahrt die Abhängigkeiten noch vergrößert, die Gräben zwischen Arm und Reich noch vertieft werden, bleibt unberücksichtigt. Es genügt, den Anschein zu erwecken dem Gemeinwohl dienlich zu sein. Tatsächlich allerdings wird das Joch noch schwerer, der aufrechte Gang nahezu unmöglich.

In vielen europäischen Ländern ist es hingegen der Staat, der über Umverteilung die Versorgung der Bedürftigen gewährleistet. Dies macht zum einen die Arbeiterschaft revolutionsmüde, sie richtet sich ein im besten unter den schlechten Leben. Zum anderen brachte dieses System den unwilligen Langzeitarbeitslosen hervor, der den Reichen als institutionalisierter Blitzableiter sehr willkommen ist. Sie finanzieren ihn als Teil der Allgemeinheit (gerne auch: die Steuerzahler) mit, sodass es schließlich – im Angesicht des Schmarotzers – zum Schulterschluss zwischen Ungleichen kommt: zwischen der arbeitenden Bevölkerung und ihren Unterdrückern. Dass die Verwandtschaftslinie tatsächlich ganz woanders verläuft, der Traum vom Werktag als ewigem Sonntag vor allem auch in teuren Betten geträumt wird, bleibt hierbei verborgen. Das niedere Schmarotzertum dient dem elitären zur Verschleierung seiner selbst.

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