Wenn es denn nur ums Zerstören ginge…

Wie trotzt wenig überzeugender Argumente zu korrekten Einsichten gelangt werden kann, bewies jüngst Christian Reiermann mit einem Essay im SPIEGEL über die Widerstandsfähigkeit des Kapitalismus. Dieser sei „Nicht kaputt zu kriegen“ (Der SPIEGEL, 24/2020, S. 78-79), auch nicht in Zeiten von Corona. Unter den Kapitalismuskritikern macht der Autor von Karl Marx bis Kevin Kühnert (man beachte das Gefälle) eine Ahnenreihe der Untergangspropheten aus, die seit knapp 150 Jahren Irrtum an Irrtum reihten. Weiterlesen

Braune Handreichung

Man hat um die unmittelbare Gefahr noch gar nicht gewusst, da flattert auch schon der Appell zur Rettung der Demokratie in den Briefkasten; in Kapitalien grölt es die AfD Baden-Württemberg einem entgegen: „BÜRGER, VERTEIDIGT EURE GRUND- & FREIHEITSRECHTE!“ Damit nicht genug: Dreifach unterstrichen ist der Aufruf – in schwarz, rot und gold, was insofern sinnvoll erscheint, als ja nicht immer ganz klar ist, von welchem Land die AfD eigentlich spricht. Weiterlesen

Blinde Wut

Irgendwann in den 30er Jahren, eine Autofahrt auf den Florida Keys, jener Inselkette, die sich in südwestlicher Richtung in den Golf von Mexiko reiht: Harry Morgan, Hauptfigur in Ernest Hemingways Haben und Nichthaben sitzt am Steuer, nur mehr einarmig, der rechte war nach Beschuss durch eine „Bande von kubanischen Regierungsschweinen“ (Ernest Hemingway, Haben und Nichthaben, Reinbek 1970, S. 93) nicht mehr zu retten. Weiterlesen

Im Erlösergewand

Hartnäckig hält sich die gutwillige Pädagogenphrase, dumme Fragen gäbe es nicht. Bei der ARD ist man nun zum Beweis des Gegenteils angetreten, indem Marcus Vetters Dokumentarfilm über das jährlich stattfindende Treffen des Weltwirtschaftsforums der in seiner Schlichtheit fast schon anrührende Untertitel „Rettet Davos die Welt?“ hinzugedichtet wurde. Weiterlesen

Verstrickt in die Vereinbarkeitslüge

Irgendwann einmal wird man die Gegenwart, die dann Vergangenheit sein wird, nach ihren wesentlichen Zügen befragen, und auf der Suche nach Antworten auch zu den Büchern Juli Zehs greifen. Neujahr, ihr jüngster Roman, macht da keine Ausnahme; gleichwohl der gesellschaftlichen Diagnose, die der Text in seinem ersten Teil stellt, schlussendlich – wenig überzeugend – eine individuell-psychologische Ursache unterlegt wird. Weiterlesen

An anderem Ort…

ist ein Aufsatz von mir erschienen, der sich mit dem kläglichen Zustand der Sozialdemokratie auseinandersetzt. Angelehnt an das vieldiskutierte Kühnert-Interview, in dem der Juso-Vorsitzende seiner Partei das Fernziel eines demokratischen Sozialismus in Erinnerung rief, gibt es in meinem Text den Rückverweis auf „älteste Prinzipien“ sozialdemokratischer Politik – allerdings nur insoweit, wie diesen Prinzipien noch Gegenwart (und damit auch Zukunft) zukommt. Dies gilt insbesondere für den Klassenwiderspruch, der in den vergangenen Jahrzehnten hinter reichlich ideologischem Blendwerk verschwunden und gerade aus diesem Grund stabiler denn je ist.

Der Text Die Sozialdemokratie auf ihrer „klapprigen Rosinante“ ist im Blog des Göttinger Instituts für Demokratieforschung erschienen.

Lessings Bodensatzleserei

Ein aus der menschlichen Art geschlagenes Kind, seine mit ihm ringende Mutter und eine über diesen Kampf zerbrechende Familie – das sind die Zutaten von Doris Lessings Roman „Das fünfte Kind“, einem Buch, das sich an die Rückabwicklung mühsam erlangter Humanität macht. Weiterlesen

Mehr als „Eiapopeia fürs Volk“

Ein amerikanischer Bildungsroman, ganz unamerikanisch: Upton Sinclair dreht den litauischen Einwanderer Jurgis Rudkus – Hauptfigur seines Buches „The Jungle“ – einmal durch die Mühlen der Chicagoer Schlachthöfe. Ganz roh regiert dort zu Beginn des 20. Jahrhunderts der Kapitalismus. Er nimmt Jurgis, einem Baum von Mann mit sanftem Gemüt, zunächst die Ersparnisse, dann Würde und Gesundheit und schlussendlich auch das freundlich-nachsichtige Wesen. Weiterlesen

Kraftmeiernde Schwächlinge

Kurz vor dem Dekabristenaufstand von 1825, einem Aufruhr einiger Adliger mit dem Ziel ein wenig republikanischen Einschlag in den Zarismus zu bringen, spülte es Nikolaus I. auf den russischen Thron – einen unsicheren, kleinlichen, immerzu argwöhnenden, intellektuell ganz und gar mittelmäßigen Menschen, der um seine Makel wusste und andere um ihre Talente beneidete. Nikolaus schloss den Griff ganz fest um Russland, ließ die Aufständischen hinrichten oder verbannte sie nach Sibirien, verschärfte die Zensur und richtete einen vieläugigen Spitzelapparat ein. Weiterlesen