Wahlkampf (fast) ohne Politik

Dem Werbesprech einer Ankündigung auf SPIEGEL Online entgleitet ein wenig die Realität: Es geht um die Berichterstattung zur Präsidentschaftswahl in den USA und man versteigt sich tatsächlich zur Aussage, dieses gedehnte Elend sei der spannendste Wahlkampf seit Al Gore gegen George W. Bush. Viele Adjektive hätten gepasst – abstoßend, niederträchtig, niveaulos – „spannend“ (dazu noch im Superlativ) trifft die Wirklichkeit, wenn überhaupt, nur am Rande. Weiterlesen

Eine Partei ohne Resonanzboden

Die Schussfahrt geht weiter – allmonatlich gelingt der SPD das Kunststück ihre historisch niedrigen Umfragewerte noch weiter zu unterbieten. Es regiert die Ratlosigkeit rund ums Willy-Brandt-Haus; und tatsächlich ist es ein Rätsel, warum in einer Zeit, da einige Wenige den Kuchen verteilen, während sich der große Rest um die Krümel streiten darf, da die Wirtschaft sich der Unmoral noch hingebungsvoller verschrieben hat als vor der Krise von 2008, da der Steuerbetrug gleich millionenfach ans Tageslicht kommt – warum in einer solchen Zeit, eine Partei, der das Thema Gerechtigkeit ins Erbgut eingeschrieben ist, sich nicht stärker profilieren kann. Weiterlesen

Eine konturlose Welt – Über den sowjetischen Totalitarismus

Die Revolution, ja jeder kleine Aufruhr ruft zunächst „Freiheit“, womit zuvorderst die „Befreiung“ von bestimmten Zuständen oder Personen gemeint ist (Isaiah Berlin). Stellen sich Erfolge ein, so ist die Freiheit vollkommen exponiert und ungeschützt – sie kann einem leicht wieder genommen werden. Uneingeschränkte Freiheit kann auch eine Bürde sein; sie zu delegieren, es sich bequem zu machen, erscheint manch einem dann verführerisch; vielleicht wächst vereinzelt gar die Sehnsucht nach einer starken Hand. In Russland bedienten 1917 die Bolschewisten diese Sehnsucht und sie packten derart fest und geschickt zu, dass es quasi über Nacht zu einem ‚Einfrieren‘ der Zustände kam: Aus einer Möglichkeit unter vielen wurde ihr Weg zum einzig gangbaren. Weiterlesen

Auf dem (guten) Sonderweg

Das geschichtliche Fahrtenbuch der Deutschen weist Konformität gewiss nicht im Übermaß aus. Bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts setzte man sich lieber ab von den Entwicklungen der europäischen Nachbarn. Der deutsche Sonderweg führte zumeist in eine Sackgasse; das Leid, das er im eigenen Land und in der Welt hinterließ, ist beispiellos. Momentan ist man wieder auf einsamen Pfaden unterwegs, diesmal jedoch ausnahmsweise im Positiven. Anders als in der Vergangenheit schlägt den Nachbarn keine Verachtung entgegen, sondern es wird der Appell vorgebracht, einen gemeinsamen Weg bei der Bewältigung der Flüchtlingskatastrophe einzuschlagen. Dieses Vorhaben wird außen- und innenpolitisch torpediert – der Sonderweg ins Unglück, einst eine deutsche Spezialität, droht schleichend zum europäischen Konsens zu werden. Weiterlesen

Mahnungen von gestern – Über Weltbürger und Feindbilder

Wenn Probleme offensichtlich werden, folgt gerne der Blick in die Vergangenheit, um die Mahner von gestern ausfindig zu machen. Die Suche nach denjenigen, deren Analysen und Prognosen sich als korrekt erwiesen haben, kann als Nebensächlichkeit oder bloße Chronistenpflicht abgetan werden; sie zeigt jedoch, bei wem sich das Zuhören lohnt, wer eine ungetrübte Sicht auf gesellschaftliche Entwicklungen hat. Zu diesen Personen zählte (mitunter) auch der mittlerweile verstorbene Soziologe Karl Otto Hondrich. In seinem 2001 erschienenen Essayband „Der neue Mensch“ stechen zwei Kapitel hervor, die auch für die Lage im Jahr 2016 noch erhellend sind. Sie handeln von Trugbildern – dem des deutschen Weltbürgers sowie dessen Umzingelung von Freunden. Weiterlesen

Die Kamele sind tot – Staatswerdung im Orient

Wenn gegenwärtig im Nahen Osten, in Vorder- und Zentralasien Krieg und Terror den Alltag beherrschen, die Menschen deshalb flüchten müssen, wird eine wesentliche historische Ursache allenfalls am Rande erwähnt: Als die europäischen Staaten ihre kolonialen Abenteuer beendeten (oder beenden mussten), versündigten sie sich ein letztes Mal an ihren Untergebenen, indem sie willkürlich Staatsgrenzen festlegten – Grenzen, um die die Einheimischen nicht gebeten hatten, die auf Familien- und Stammesverbände keine Rücksicht nahmen, die letztlich einzig in die Welt der abziehenden Kolonialherren passten. Was offiziell als Unabhängigkeit daherkam, war mit einem Ballast beschwert, der eine gesamte Weltregion ins Verderben reißen sollte. Weiterlesen

Gefährliche Teekesselchen und andere Übel (III)

Auf die Teekesselchen („Taschengeld“ und „Hilfspaket“) folgen die Synonyme – laut Karel Havlíček Borovský die zweite Ursache für die Übel der bürgerlichen Gesellschaft: Identische Dinge werden mit verschiedenen Namen versehen. So kennt etwa das Morden unter den Menschen, der Krieg, der eigentlich keine sonderlich schwer zu durchschauende Sache ist – zwei (oder mehr) Parteien fügen einander möglichst großes Leid zu -, unzählige Benennungen. Weiterlesen

Gefährliche Teekesselchen und andere Übel (II)

Wörter kennen Temperaturunterschiede – gemessen nicht in Grad, sondern an den Emotionen, die sie begleiten. Es gibt kühle Wörter,  die Nüchternheit und Distanz zum Ausdruck bringen, die auch von Moral-Debatten möglichst großen Abstand halten wollen. Das Wort „Kredit“ zählt zu diesen Wörtern. Und es gibt warme Wörter, die vom Gefühl der Nähe und Geborgenheit, vom Heimeligen begleitet werden. Zu diesen Wörtern zählt die „Hilfe“. Weiterlesen

Gefährliche Teekesselchen und andere Übel (I)

Langlebige Sätze waren schon immer selten; sie sind es gegenwärtig umso mehr, als sie unter der Masse von dahin geschleuderten Texten zu leiden haben. Nach Sätzen, die Jahrhunderte überdauern können, die ihre Verfasser lange überleben, sucht und fragt in Zeiten von minütlichen Wasserstandsmeldungen und sich gegenseitig übertreffenden Dramatisierungen kaum mehr jemand. Die Resultate des Denkens folgen der Taktung, mit der die Weltereignisse mittlerweile auf die Menschen eindringen – sie werden kurzlebig. Weiterlesen

Die ewige Krise

Ihrer Etymologie nach bezeichnet die Krise den Moment, da eine Entwicklung eine andere Richtung einnimmt, in der sie umschlägt (griech. „κρίνειν“: scheiden, trennen, auswählen, entscheiden). Die Krise führt eine Entscheidung herbei, bietet allerdings noch Möglichkeiten zur Intervention. Ihr kommt eine Latenz zu, die in der Gegenwart eine gestaltbare Zukunft aufscheinen lässt: Die Entscheidung ist fällig, aber noch nicht gefallen. Den Krisen der Gegenwart, die zumeist als gefährliche, als düster ausgemalte Abgründe wahrgenommen werden, ist der Charakter einer Momentaufnahme im Schwebezustand abhanden gekommen Weiterlesen