Wörter kennen Temperaturunterschiede – gemessen nicht in Grad, sondern an den Emotionen, die sie begleiten. Es gibt kühle Wörter,  die Nüchternheit und Distanz zum Ausdruck bringen, die auch von Moral-Debatten möglichst großen Abstand halten wollen. Das Wort „Kredit“ zählt zu diesen Wörtern. Und es gibt warme Wörter, die vom Gefühl der Nähe und Geborgenheit, vom Heimeligen begleitet werden. Zu diesen Wörtern zählt die „Hilfe“.

Nun brauchte es nicht erst die Flüchtlingskatastrophe, um zu erkennen, an welchem Ende der Temperaturskala sich die Europäische Union bewegt. Wenn es einmal nicht um das Sichern von Vorteilen, sondern um das Verteilen von Lasten geht, decken die gerne bemühten warmen Worte nichts mehr zu; wenn über Jahre hinsichtlich einer gerechten Verteilung der Flüchtlinge versagt wird, wenn nun gar – wie von einigen osteuropäischen Staaten – menschliche Rosinenpickerei betrieben wird, so kann von einer Wertegemeinschaft nicht mehr gesprochen werden. Die EU war seit jeher in den eisig kalten Gefilden der Geschäftemacherei heimisch, regiert von der Nüchternheit der Zahlenjongleure und Anzugträger, deren Handeln von der Politik mit reichlich warmen Worten zu überdecken versucht wurde. Dass dieses Übertünchen die Sprache entleert, dass sie sich hierdurch von der Realität ablöst, zeigt insbesondere ein Wort, das in der Schuldenmisere Griechenlands ‚Karriere machte‘: das „Hilfspaket“.

Wie beim „Taschengeld“, das im ersten Teil dieser Artikelserie thematisiert wurde, bestätigt sich auch im Fall des „Hilfspakets“ der Satz Karel Havlíček Borovskýs, dass die Ursache vieler Übel der bürgerlichen Gesellschaft in der Benennung verschiedener Dinge mit demselben Namen besteht. Dass die Kreditvergaben der Troika mit großzügigen Hilfestellungen nichts zu tun haben, dass sie tatsächlich in den vergangenen knapp fünf Jahren den Griechen nicht wieder auf die Beine geholfen haben, sondern einzig ihre Rolle als Abhängige festigten, macht das Wort „Hilfe“ für die Griechen zu einem gleichermaßen gefährlichen wie zynischen Teekesselchen. Es wird eingesetzt, um die Unterlegenheit des einen und die Überlegenheit des anderen Akteurs festzuschreiben – nicht so sehr die ökonomische als vielmehr die moralische.

Es gehört zum Einmaleins des menschlichen Miteinanders: Für Hilfe gilt es, sich zu bedanken. Doch was ist zu tun, wenn einem die vermeintliche Hilfe gar nicht vorwärts gebracht hat, sondern sie – im Gegenteil – nur noch mehr Schaden anrichtete? Was ist ferner zu tun, wenn die Hilfe von vornherein ihren Namen nicht verdient hatte, weil eine Kreditvergabe nicht mit dem übereinstimmt, was gewöhnlich unter „Hilfe“ verstanden wird?

Der größte Unterschied zum Kredit besteht darin, dass im unmittelbaren Akt der Hilfe keine Gegenleistung erwartet wird. Sicherlich, es kann argumentiert werden, dass auch Hilfe nie vollkommen altruistisch ist, sie immer auch eine soziale Komponente hat: Der Helfende erhöht mit seinen Handlungen die Wahrscheinlichkeit, dass auch ihm in einer zukünftigen Notsituation einmal geholfen wird. Dieser Gedanke dürfte zumeist jedoch im Hintergrund stehen. Präsenter sind da schon die Freude über soziale Anerkennung oder über die Erleichterung desjenigen, dem man geholfen hat. Während letztere als ‚Lohn‘ für den Helfenden noch akzeptiert, gar als Symptom eines liebenswerten Charakterzugs gewürdigt wird, erscheint vielen Menschen die berechnende Hilfestellung, mit der vor allem das eigene Ansehen in bestes Licht gerückt werden soll, bereits zwielichtig: Der Helfende sollte nicht mit sozialem Kapital spekulieren; er sollte idealerweise auch kein Lautsprecher sein, seine Taten nicht herausstellen; er sollte sie allerdings auch nicht kleinreden: Wer sich besonders bescheiden gibt, setzt sich nur dem Verdacht des Gegenteils aus.

Der Kreditgeber hingegen ist nie ein selbstloser Wohltäter; es wird von ihm auch nicht verlangt einer zu sein. Er beäugt seinen möglichen Geschäftspartner genau, orientiert sich immer zuerst am eigenen Profit. Die Not der Menschen ist ihm gleichgültig; sie interessiert ihn nur, wenn sie sich ausbeuten lässt. So fällt die von den Banken entworfene Bonbonwelt besonders dort auf fruchtbaren Boden, wo es materiell noch dürftig zugeht. Heimisch im Reich der Hochglanzprospekte, die vom familiären Glück im eigenen Heim oder von der durch das neue Auto gewonnenen Freiheit erzählen, entfaltet der Kredit in der Tristesse seine größte Strahlkraft. In den Vereinigten Staaten sowie in einigen europäischen Ländern verheißt er gar den Besuch der Universität und damit ein besseres Leben in toto. Sind die Interessen des Kreditgebers gewahrt, gibt er sich alle Mühe, nicht nur den Anschein eines Hilfeleistenden zu vermitteln, sondern den eines Wunscherfüllers, der einem noch die Sehnsüchte aus dem Gedankenfach kramt, von denen man zuvor nicht einmal wusste, dass sie überhaupt existieren. Dass die Glücksverheißungen auch zum Präludium des eigenen Untergangs werden können, verrät einem bereits ein flüchtiger Blick auf die Geschichte des Kapitalismus. Dass am Ende der eigenen Wunschvorstellungen eine gebrochene Existenz unter Kuratel der Bank auf einen warten kann, offenbart das Kleingedruckte im unterzeichneten Teufelspakt.

Genau dies ist dem griechischen Staat passiert, als er sich auf die ‚Hilfe‘ der Troika einließ. Und obwohl die Liste der eingeforderten Gegenleistungen immer länger, die Souveränität des Landes in der Folge immer kleiner wurde, ist die Politik nie müde geworden, die von ihr betriebene Kreditknechtschaft weiterhin mit dem Duktus einer großmütigen Freundschaftsleistung anzupreisen. Es ist müßig zu erwähnen, dass auch auf griechischer Seite reichlich Fehler gemacht wurden. Zu ihnen zählte jedoch gewiss nicht demonstriert zu haben, bei wem die Gewalt eigentlich liegen sollte – nämlich bei den griechischen Bürgern und den von ihnen gewählten Abgeordneten im nationalen Parlament. Ihrem Scheitern zum Trotz kann diese Leistung der Syriza-geführten Regierung gar nicht hoch genug angerechnet werden. Sie wussten, dass das Ergebnis des Referendums letztlich vollkommen nichtig sein würde, und haben es dennoch abgehalten. Hierdurch ist es ihnen gelungen für einen Moment den Schleier aus warmen Worten zu lüften und offenzulegen, dass das griechische Volk in Brüssel und Berlin längst nicht mehr als Souverän angesehen wird. Es ging nie um Hilfe, sondern einzig ums Geschäft; und bei diesem Geschäft stand nie im Zentrum, den Griechen wieder auf die Beine zu helfen, sondern die eigenen Interessen abzusichern (was etwa im Falle Deutschlands hieß, einen Zusammenbruch des Euros um jeden Preis zu verhindern).

Die Troika hat sich in Solidarität zweiter Klasse geübt, um diese schließlich als Ausweis des europäischen Zusammenhalts zu verkaufen: Als man erkannt hatte, dass die Situation in Griechenland auch im eigenen Portemonnaie reichlich Löcher reißen könnte, sah man sich zur Solidarität gezwungen. Es ist bezeichnend, dass die vagen Pläne für einen griechischen Euro-Austritt just in dem Moment aufkamen, als die ersten Fachleute errechnet hatten, dass dieser den anderen Ländern nicht mehr schaden würde. Dass Solidarität, die sich am Eigennutz orientiert, ebenso entkernt ist wie Hilfe, die einzig den Schaden streckt, scheint in der Politik – wie auch in der deutschen Öffentlichkeit – kaum jemanden zu stören. Taugen doch die Worthülsen nur allzu gut, um die Griechen mit moralischem Zeigefinger über ihre Verfehlungen und Verpflichtungen zu belehren. Der beckmesserische Deutsche sieht all seine Klischees vom Südländer bestätigt und fügt sie zum Gegenteil seines Selbstbildes zusammen: Die Griechen halten sich nicht an Abmachungen, können mit Geld nicht umgehen, versagen bei der Einrichtung einer vernünftigen Verwaltung, sind verschwenderisch und faul.

Hoch – und vor allem lang – soll dagegen die deutsche Pedanterie leben, die die Menschen noch an die Vorschriften bindet, wenn diese Demokratie und Rechtsstaatlichkeit längst abgeschafft haben. Ewig soll Hellas den fleißigen Teutonen die Füße küssen – selbst wenn Deutschland den Griechen tatsächlich geholfen hätte, das Land würde wohl das erbärmlichste Bild eines Helfenden seit langer Zeit abgeben. Zurückhaltend scheint es auch im vermeintlich Guten nicht zugehen zu können, es muss immer poltern.

CARE-Paket aus den 40er Jahren
Ein ‚echtes‘ Hilfspaket aus den Vereinigten Staaten und sein Inhalt – Geld und Gegenleistungen wird man vergeblich suchen. Lizenz: CC by-sa 3.0, Rechteinhaber: Deutsches Bundesarchiv, Original: Bundesarchiv Bild 183-S1207-502, Inhalt eines CARE-Paket.jpg.

Das Wort klingt ja auch einfach zu schön: „Hilfspaket“ – da gehen gleich die assoziativen Pferde mit einem durch: So wie die Amerikaner nach dem Zweiten Weltkrieg Millionen Hilfspakete in Deutschland verteilten, so schnüren nun die Deutschen ihre Päckchen – nicht mehr mit Lebensmitteln gefüllt, sondern mit reichlich Geld. Endlich meint man sich selber einmal auf der Seite der Guten wiederzufinden, und macht doch (fast) alles falsch. Leisteten die CARE-Pakete rasch Abhilfe, so haben die Griechen auch nach knapp fünf Jahren Geldregen keinerlei neuen Fettpölsterchen angelegt.

Wenn bei den Worten die Temperatur zumindest ein wenig heruntergeschraubt werden könnte, so wäre das Handeln Deutschlands (im Verbund mit der Troika) zwar immer noch falsch, es würde jedoch zumindest die Heuchelei verschwinden; die Sprache würde sich der Realität wieder annähern: Wenn es einzig um den eigenen Vorteil geht, muss nicht von Solidarität gesprochen werden und wenn tatsächlich ein Deal miteinander geschlossen wird – inklusive vereinbarter Leistungen und Gegenleistungen -, so muss nicht von „Hilfe“ die Rede sein.

(Dieser Text ist der zweite Teil einer kleinen sprachkritischen Artikelserie. Diese begann vor knapp zwei Wochen mit einem Beitrag zum Thema „Taschengeld“ und findet demnächst ihren Abschluss mit einem Text über den „Krieg“.)

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