Aus Washington nichts Neues

Das politische Portrait steht und fällt mit der Person, der es sich zuwendet. Wo es Pläne und Inszenierungen zu enthüllen, Weltanschauungen zu entknoten gibt, lohnt der genaue Blick; der Text kann gelingen. So wie etwa bei George Packer, der vor einigen Jahren ein großartiges Stück über die Kanzlerin für den „New Yorker“ geschrieben hat. Über die Person Angela Merkels entdeckte Packer den politischen Tiefschlaf eines ganzen Landes. Oder Henning Sußebach, der für die ZEIT Markus Söder begleitete und einen geltungssüchtigen Überehrgeizling kennenlernte, dem für den Weg nach oben keine Inszenierung zu gewagt ist. Es ist wenig überraschend, dass solche Texte über den derzeitigen amerikanischen Präsidenten nicht existieren.

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Montage contra Krieg

Vieles hat seinen gewöhnlichen Platz, ist durch die Konvention gebunden. Vor allem Sprachliches, allgemeiner: Kulturelles, überkommt die Menschen mit einer scheinbar festen Bedeutung; qua Geburt scheint es in dieser Hinsicht kein Entkommen zu geben: Die Zeichen präsentieren sich mit starrem Verweis. An der Kunst ist es, hieran zu rütteln. Sie kann montieren, Kulturelles in fremden Kontexten platzieren, so die Konvention brechen und neue Bedeutungen schaffen. Mitunter ist dieses Neue wie eine Klärung, wie ein Herabsinken von Schleiern – die Gewohnheit war dann nur Täuschung, zuweilen weit entfernt von der Realität. Zwei Beispiele, beide blutig: Weiterlesen

Wahlkampf (fast) ohne Politik

Dem Werbesprech einer Ankündigung auf SPIEGEL Online entgleitet ein wenig die Realität: Es geht um die Berichterstattung zur Präsidentschaftswahl in den USA und man versteigt sich tatsächlich zur Aussage, dieses gedehnte Elend sei der spannendste Wahlkampf seit Al Gore gegen George W. Bush. Viele Adjektive hätten gepasst – abstoßend, niederträchtig, niveaulos – „spannend“ (dazu noch im Superlativ) trifft die Wirklichkeit, wenn überhaupt, nur am Rande. Weiterlesen

Maxim Biller und die intellektuelle Bescheidenheit

Der Titel dieses Blogs mag zunächst einen fahlen Beigeschmack haben; vielleicht auch dann noch, wenn seine Erläuterung vernommen wurde: Warum sich annähern, anstatt nach letzten Gewissheiten zu suchen? Da kann es nicht schaden, einmal einen Blick auf das Negativ, auf all jene Dinge, die an dieser Stelle keinen Platz finden sollen, zu werfen. Einer der Krawallbrüder des deutschen Feuilletons, Maxim Biller, lieferte für diesen Zweck unlängst ein brauchbares Beispiel in der ZEIT: seitenweise vor Ekel hervorgewürgte Tiraden, Simplifizierungen und unverschämte Vergleiche, adressiert an die politische Linke vergangener und gegenwärtiger Zeiten. Biller verkündet seine Letztwahrheiten mit einem Furor, der für Gegenstimmen, für das Abwägen von Argumenten, keinerlei Platz lässt. Dass ein solches Vorgehen wider jede intellektuelle Bescheidenheit seit Jahrzehnten seine Masche ist, um Aufmerksamkeit zu generieren, macht es nicht besser. Weiterlesen

Möge im Paradies der „stern“ nicht erscheinen

Sofern ihm denn Aufnahme gewährt wurde, hat Muhammad Ali seine Himmelfahrt gerade hinter sich. Glaubt man stern-Redakteurin Ulrike Posche, so würde sich durch den Einzug in die Dschanna für Ali allerdings nicht allzu viel ändern; ihr Nachruf bastelt an einem Bild des Boxers, das bereits sein Dasein auf Erden in die Nähe des Göttlichen rückt. Als Liebling der Unsterblichen wird er gepriesen, in den während seiner Kämpfe „das Leben wie ein Blitz (…) [einschlug]. Als wäre Gott plötzlich in ihn gefahren, oder Allah“ (Posche, Der Göttliche, in: stern 24 (2016), S. 60). Wenn einmal von der Abnutzung der bemühten Bilder abgesehen wird, so stört nicht zuerst (wie Posche selber vermutet) das Blasphemische an ihrem Götzendienst, sondern dessen inhaltliche Dürftigkeit. Weiterlesen

In der Kinderstube des amerikanischen Traumes

Die Geißelung des Wohlstandsversprechens amerikanischer Prägung ist an dieser Stelle bereits mehrfach en passant vorgenommen worden – auf einer (filmischen) Autofahrt durch Houston und in der Auseinandersetzung mit sozialdemokratischer Politik. Seiner Verlogenheit, nicht seiner historischen Etablierung, galt in den jeweiligen Texten die Aufmerksamkeit. Für die Verankerung des amerikanischen Traumes im kollektiven Bewusstsein der USA spielt die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts eine zentrale Rolle. In dieser Zeit gewinnen sowohl sein Substrat, der Individualismus (in einer radikalen Ausprägung), als auch seine Substanz, das Versprechen, durch das eigene Wirken ein Leben in Wohlstand führen zu können, an Konturen. Weiterlesen

Gefährliche Teekesselchen und andere Übel (III)

Auf die Teekesselchen („Taschengeld“ und „Hilfspaket“) folgen die Synonyme – laut Karel Havlíček Borovský die zweite Ursache für die Übel der bürgerlichen Gesellschaft: Identische Dinge werden mit verschiedenen Namen versehen. So kennt etwa das Morden unter den Menschen, der Krieg, der eigentlich keine sonderlich schwer zu durchschauende Sache ist – zwei (oder mehr) Parteien fügen einander möglichst großes Leid zu -, unzählige Benennungen. Weiterlesen

Gefährliche Teekesselchen und andere Übel (I)

Langlebige Sätze waren schon immer selten; sie sind es gegenwärtig umso mehr, als sie unter der Masse von dahin geschleuderten Texten zu leiden haben. Nach Sätzen, die Jahrhunderte überdauern können, die ihre Verfasser lange überleben, sucht und fragt in Zeiten von minütlichen Wasserstandsmeldungen und sich gegenseitig übertreffenden Dramatisierungen kaum mehr jemand. Die Resultate des Denkens folgen der Taktung, mit der die Weltereignisse mittlerweile auf die Menschen eindringen – sie werden kurzlebig. Weiterlesen