Fußballspiele mit deutscher Beteiligung bei Welt- und Europameisterschaften sind wohl die letzten großen Straßenfeger hierzulande. Entsprechend viele Menschen dürften auch den Nachrichten in der Halbzeitpause folgen. Umso verheerender, wenn diese mit einer Fehlinformation eingeleitet werden. So geschehen im Heute-Journal, das am Donnerstag vergangener Woche während der Partie Deutschland-Frankreich ausgestrahlt wurde. Einen Bericht über die Reform des Sexualstrafrechts moderierte Marietta Slomka mit folgenden Sätzen an: „Künftig gilt: Nein heißt nein. Auch wenn das Opfer sich aus Angst nicht wehrt, die Tat geschehen lässt, bleibt es eine Vergewaltigung.“ Dass die beschriebenen Umstände auch mit dem alten Gesetz als Vergewaltigung abgeurteilt werden konnten, ist Moderatorin und Redaktion wohl entgangen. Was im Bundestag, der die Reform einstimmig auf den Weg brachte, als historischer Schritt begangen wurde, ist keiner. Entgegen dem griffigen Slogan („Nein heißt nein“) ist nicht für mehr, sondern für weniger Klarheit gesorgt worden.

Der ‚alte‘ § 177 StGB und seine Reform

Die Verfechter der unter dem Stichwort „Nein heißt nein“ vorgenommenen Gesetzesänderung am Sexualstrafrecht suggerieren, dort Eindeutigkeit hergestellt zu haben, wo bis dato das Recht einer Bananenrepublik galt, in der das sexuelle Selbstbestimmungsrecht der Menschen nichts zählte. Es ist der Eindruck erweckt worden, in Deutschland habe ein Opfer sich mit Händen und Füßen zu wehren, dabei idealerweise noch lauthals zu schreien, damit eine sexuelle Nötigung überhaupt als solche anerkannt wird. Ein „Nein“, das den Willen des Opfers zum Ausdruck bringt, sei nicht ausreichend gewesen – diese Lücke sei nun mit der Reform geschlossen worden. Derlei Behauptungen sind schlicht Unsinn. Eine sexuelle Nötigung lag nach dem jüngst wegreformierten § 177 StGB dann vor, wenn ein Mensch einen anderen Menschen gegen dessen Willen zu sexuellen Handlungen zwingt, indem Gewalt ausgeübt, mit ihr gedroht oder eine schutzlose Lage des Opfers ausgenutzt wird. Diese zwei miteinander verwobenen Punkte waren entscheidend: der Wille des Opfers und die bewusste Hinwegsetzung des Täters über diesen Willen.

Eine an Rechtsstaatlichkeit orientierte Aufklärung (die die Beweislast bei der Anklage und die Unschuld zunächst beim Angeklagten sieht) musste folglich dem Willen des vermeintlichen Opfers nachspüren. Hierbei spielten Handlungen des Opfers, seien sie verbaler oder nonverbaler Art, schon immer eine entscheidende Rolle, und zwar nicht nur das Wehren mit Händen und Füßen, das Schreien oder das Weglaufen, sondern (spätestens nach einer Reform des Sexualstrafrechts in den 90er Jahren) eben auch das Nein-Sagen oder jede andere Handlung, die den entgegenstehenden Willen des Opfers zum Ausdruck bringt. All diese Handlungen können allerdings zunächst nur als Indizien herhalten: Ebenso wie Rauchwolken nicht zwangsläufig auf ein unkontrolliertes Feuer schließen lassen (es könnten auch ein Schornstein oder eine Lokomotive die Ursache sein), ist der Wille einer Person, die vor einer anderen Person wegrennt, nicht automatisch so einzuschätzen, dass diese von ihrem vermeintlichen Peiniger so schnell wie möglich wegkommen möchte.

Diesen rechtlichen Status von Äußerungen und Handlungen anzuerkennen, die als eindeutige Willensakte erscheinen, fällt vielen Menschen schwer. Er läuft schlicht unserer Intuition zuwider. Ist es nicht klar, dass jemand, der etwa zu einer bestimmten sexuellen Handlung „Nein“ sagt, damit seinen Willen zum Ausdruck bringt, dass diese Handlung an ihm/ihr oder durch ihn/sie nicht durchgeführt werden soll? Es ist ein äußerst gewichtiges Indiz hierfür, jedoch kein eindeutiger Beleg. Diese Differenzierung verdreht – anders als oftmals reflexartig behauptet – kein „Nein“, hinter dem ein Nicht-Wollen steht, in ein „Ja“. Sie eröffnet lediglich der Möglichkeit Raum, dass hinter einem geäußerten „Nein“ mitunter kein Nicht-Wollen zu finden ist.

Zur Verdeutlichung ein Beispiel: Zwei Personen haben einvernehmlich miteinander Sex und reißen sich im Vorlauf buchstäblich die Kleider vom Leib. Knöpfe fliegen durchs Zimmer, Unterwäsche wird zerrissen, die eine oder andere Kratzspur findet sich im Nachhinein auf den Körpern. Wenn nun einer der Beteiligten den anderen einige Zeit später fälschlicherweise der Vergewaltigung bezichtigt, so wäre es fahrlässig einzig die Indizien zu betrachten (die eine Vergewaltigung wahrscheinlich erscheinen lassen) und den zugrundeliegenden Willen unberücksichtigt zu lassen. Es kommt eben, dies sei noch einmal wiederholt, bei der Frage nach der Nötigung zuvorderst auf den Willen des Opfers sowie auf die Frage, ob der Täter wissentlich gegen diesen Willen gehandelt (Zwang ausgeübt) hat, an; erst in zweiter Hinsicht geht es um die Myriaden von Erscheinungen, in denen sich dieser Wille vermeintlich zeigt oder auch nicht.

Mutmaßlich im Versuch sie zu eliminieren, katapultierte der Gesetzgeber diese Vagheit von Indizien mit der Reform vom vergangenen Donnerstag ins Zentrum des Straftatbestandes der sexuellen Nötigung. Fortan sollen all jene sexuellen Handlungen, die „gegen den erkennbaren Willen“ einer anderen Person an dieser oder durch diese vorgenommen werden, unter Strafe stehen. Gemäß Erläuterung ist der Wille etwa durch Abwehrhandlungen oder die Äußerung eines „Nein“ „erkennbar“. Die Verschiebung ist offenkundig: Nicht mehr der Wille, sondern die Indizien, die ihn begleiten, stehen fortan im Mittelpunkt; dies nicht mehr als Indizien (als An-zeichen), sondern fälschlicherweise befördert zu ikonischen Zeichen, zu Abbildern. Um den oben bemühten Vergleich wieder aufzugreifen: Fortan ist es egal, ob ein Schornstein raucht, die Lokomotive ankommt oder die Scheune abbrennt – stets kann „Feuer“ gerufen werden.

Wie wichtig es ist, Indizien auch weiterhin als Indizien zu behandeln, wird beim Blick auf jene Fälle deutlich, bei denen der Wille des Opfers in diesem verschlossen bleibt, sich durch keine Handlungen oder Äußerungen zeigt. Es sind viele Situationen denkbar, in denen jedes äußere Anzeichen für einen entgegenstehenden Willen fehlt, die aber dennoch – also ohne jedes „Nein“ des Opfers – als Nötigung einzustufen sind und nach dem jüngst überworfenen Recht auch als solche eingestuft wurden: Das Opfer erkennt die Aussichtslosigkeit der eigenen Situation (etwa weil es mit dem Täter allein im Wald ist oder sich in einem verriegelten Kellerloch befindet), die Vergewaltigung findet ritualisiert statt, das Opfer ist unfähig, sich zu wehren, weil es sich vor der Gewalt des Täters fürchtet usw. – in all diesen Fällen mag das Opfer seinen Willen in keinerlei Form geäußert haben, es ließ alle sexuellen Handlungen über sich ergehen; trotzdem sind derartige Fälle in der Vergangenheit als Nötigungen behandelt worden, weil aus den Umständen erkennbar wird, dass der Täter gegen den Willen des Opfers handelte.

Es zeigt sich hier eindeutig, dass die von den „Nein heißt nein“-Befürwortern angeführte Schutzlücke im Sexualstrafrecht schlicht nicht existiert hat: Auch das Opfer (von dem Marietta Slomka sprach), das starr vor Angst den Täter gewähren lässt, das vielleicht noch nicht einmal ein „Nein“ äußert, kann genötigt worden sein. Hierfür ist die bereits genannte Reform des § 177 StGB in den 90er Jahren vorgenommen worden. Fortan legte Absatz 1, Nr. 3 fest, dass eine Nötigung auch dann vorliegt, wenn sich das Opfer in einer „schutzlosen Lage“ befunden hat. Diese wurde in einem Urteil des Bundesgerichtshofes (BGH) Ende der 90er Jahre folgendermaßen umrissen: „Eine schutzlose Lage ist (…) dann gegeben, wenn die Schutz- und Verteidigungsmöglichkeiten des Opfers in einem solche (sic!) Maße verringert sind, daß es dem ungehemmten Einfluß des Täters preisgegeben ist. Dies ist regelmäßig der Fall, wenn das Opfer sich dem überlegenen Täter allein gegenüber sieht und auf fremde Hilfe nicht rechnen kann, wobei es allerdings eines gänzlichen Beseitigens jeglicher Verteidigungsmöglichkeiten nicht bedarf (BGHSt 44, 228). Unerheblich ist, auf welche Umstände die schutzlose Lage des Opfers zurückzuführen ist. Die verminderten Schutz- und Verteidigungsmöglichkeiten können sich sowohl aus äußeren Gegebenheiten als auch aus in der Person des Opfers liegenden Umständen“ (BGH 2 StR 248/99) ergeben. Die Passage enthält zwei Kernbotschaften: (1) Es braucht nicht unbedingt ein Kratzen, Beißen, Schreien und/oder Schlagen des Opfers und (2) auch das durch seine Angst paralysierte Opfer ist geschützt.

Die oben genannten Gründe für die Existenz einer schutzlosen Lage liefern allesamt eine Antwort auf eine zweite wichtige Frage, die (wie bereits angedeutet) mit der nach dem Willen des Opfers verwoben ist: Warum war das Opfer nicht in der Lage seinen Willen durchzusetzen? Beziehungsweise: Was ermöglichte dem Täter, sich über den Willen des Opfers hinwegzusetzen? Dies ist die Frage nach der Nötigung, nach dem Zwang, der auf das Opfer ausgeübt wurde. Wenn hierauf keine Antwort gefunden werden kann (Angst vor Gewalt, Aussichtslosigkeit etc.), dann wird sich das mutmaßliche Opfer die Frage gefallen lassen müssen, ob es tatsächlich seinem Willen entsprach, dass es zu keinen sexuellen Handlungen kommen sollte. Zur Verdeutlichung kann die Situation noch einmal von einer anderen Seite angegangen werden: Warum sollte jemand, auf den keinerlei Zwang ausgeübt wird, der also keiner Gewalt ausgesetzt ist, noch sich vor ihr fürchten muss oder in irgendeiner anderen Weise genötigt wird, sexuelle Handlungen gegen seinen/ihren Willen durchführen oder an sich durchführen lassen?

Natürlich, es sind solche Situationen denkbar: Wenn beispielsweise eine Person mit einer anderen Sex hat, obwohl es eigentlich nicht ihrem Willen entspricht, sie oder er jedoch Mitleid mit dieser Person hat, sich an einem Dritten rächen möchte (z.B. am Partner, der selber fremdgegangen ist) oder sich berufliche oder finanzielle Vorteile durch den Geschlechtsverkehr verspricht. Diese Person handelt zwar selber gegen ihren eigenen Willen, es liegt allerdings keine Nötigung vor.

Wem das alles zu kompliziert ist, wem die Fantasie für die Komplexität sozialer Beziehungen fehlt, wem auch die Einsicht abgeht, dass das Strafrecht vor der Schwierigkeit steht, dieser Komplexität gerecht werden zu müssen, der bleibt dabei, dass doch wohl ein „Nein“ einfach „Nein“ bedeute, schmeißt sogleich die Empörungsmaschinerie an, um Kritiker der Reform in den Rang von Mittätern zu rücken, indem ihnen (zumeist unter Absehung jeder Form von Argumentation) vorgeworfen wird, sie seien diejenigen, die sich ein zweites Mal an den Opfern vergehen würden. Genau das ist etwa der ZEIT-Journalistin Sabine Rückert wie auch Thomas Fischer, immerhin Bundesrichter in Karlsruhe, geschehen.

Letzterer wandte ein, dass mit der Reform das „Nein“ des Opfers fortan zusammenhangs- und begründungslos neben dessen sonstigem Verhalten stünde. Und tatsächlich müsste ein Fall, der fortan unter Strafe gestellt werden soll, exakt diese Charakteristika aufweisen: Das Opfer fühlt sich in keinerlei Hinsicht durch den Täter genötigt, es wird ihm keine Gewalt angetan, diese wird auch nicht angedroht und es liegt keine schutzlose Lage vor; nach Einsetzen der sexuellen Handlungen äußert das Opfer ein „Nein“ und tut ansonsten…nichts. Das „Nein“ soll hier isoliert wirken, wie ein „magisches Zauberritual, das die Deutung einer Situation ein für allemal festlegt und entscheidet“ (Fischer, Thomas, Frauenfilme zu Frauenwahrheiten und Frauenfragen, auf: ZEIT Online, 21.06.2016). Es ist geradezu paradox: Ausgerechnet eine Reform, die propagiert das sexuelle Selbstbestimmungsrecht der Opfer zu stärken, degradiert diese zu Wesen, die eigentlich gar nicht in der Lage sind ihren Willen zum Ausdruck zu bringen. Irgendwo zwischen Kindern und psychisch Kranken haust fortan das Vergewaltigungsopfer mit seinem „Nein“ im Paragraphendschungel des Strafrechts.

Zugleich widerspricht diese Isolation einer einzelnen verbalen Äußerung bisher gängiger Praxis, insbesondere in solchen Fällen, in denen es um die Frage nach einer schutzlosen Lage geht, die gesamten Umstände einer vermeintlichen Vergewaltigung zu durchleuchten. So hält der BGH in einem Urteil aus dem Jahr 2005 fest, dass es „stets auf die Gesamtheit äußerer Umstände und persönlicher Voraussetzungen von Täter und Opfer im Einzelfall an[kommt]. Weder einzelne äußere Umstände als solche (z.B. Abgeschiedenheit oder Belebtheit des Ortes, Tageszeit) noch einzelne Gegebenheiten in der Person von Täter oder Tatopfer (z.B. körperliche Verfassung und Leistungsfähigkeit, psychische Disposition) oder von dritten Personen erlauben für sich allein eine abschließende Beurteilung, ob die Lage des Opfers zum Tatzeitpunkt sich als „schutzlos“ gegenüber möglichen Gewalthandlungen des Täters darstellt“ (BGH 2StR 245/05).

Paradoxerweise ist auch bei einigen der Reform-Befürworter – etwa bei Christina Clemm und Annika Reich – das Bewusstsein vorhanden, dass unwahrscheinlich viele Gründe denkbar sind, warum ein Opfer sich gegen eine Nötigung nicht wehrt. Dennoch setzen sich die beiden Frauen energisch dafür ein, dass eben diese Gründe in Zukunft mindestens in den Hintergrund gedrängt werden, vielleicht auch gar keine Rolle mehr spielen.

Eine Schlacht im Geschlechterkrieg?

In diesem Text war bisher geschlechtsneutral von „Personen“ oder von „Täter“ und „Opfer“ die Rede. Dies ist bewusst geschehen, um sich aus den Schlachten herauszuhalten, die die Reform des Sexualstrafrechts begleitet haben (und immer noch begleiten). In diesen sind die Rollen klar verteilt: Der Feminismus meint eine weitere Bastion des Patriarchats geschliffen zu haben, in der in diesem Fall die sexuelle Selbstbestimmung der Frau eingekerkert war. Wer auch nur leise Kritik an der Reform äußert, setzt sich dem Verdacht der Unzurechnungsfähigkeit aus, kämpft als Steinzeitmensch (zumeist natürlich: Steinzeitmann) gegen den richtigen Lauf der Dinge. Wenn die unter diesen Vorzeichen überhitzt geführten Diskussionen allerdings näher betrachtet werden, so kann ein ‚Gewinner‘ in diesen Schlachten nicht wirklich ausgemacht werden.

Ein Beispiel (unter vielen): Zunehmend ernüchtert ob der Verflachung und Emotionalisierung der Debatte schüttete etwa Thomas Fischer in seinen jüngsten Kolumnen zum Thema gleich kübelweise Spott und Sarkasmus über Opfer- und Frauenverbänden, C-Prominenz und Teilen der Medienlandschaft aus. So unterhaltsam Derartiges für diejenigen zu lesen ist, die nicht in jeder spöttischen Bemerkung eine tiefgreifende Herabsetzung erkennen müssen, so klar ist, dass diese Mittel bei den Berufsempörten, die sich in den genannten Gruppierungen gehäuft heimisch fühlen, zu nichts führen werden. Entsprechend könnte man die Pfeile dann auch im Köcher lassen – vielleicht muss man sie aber auch gerade in einem solchen Fall herausholen (der Verfasser ist noch unentschieden).

In jedem Fall provozieren derlei Spitzen Reaktionen, die sich mit der zugrundeliegenden Problematik nur noch am Rande beschäftigen, stattdessen lieber all ihre Energie darauf verschwenden über Textexegesen das zugrundeliegende Frauenbild der Kritiker zu Tage zu fördern. So vollbringt etwa Margarete Stokowski in ihrer Kolumne auf SPIEGEL Online das Kunststück in den wenigen Passagen, in denen sie auf Thomas Fischers Argumente eingeht, diese verkürzt – und damit verfälscht – wiederzugeben. Sie behauptet, Fischer begründe seine Ablehnung der Reform damit, dass ein „Nein“ alles Mögliche bedeuten könne. Tatsächlich geht es dem Bundesrichter darum, dass beim Vorwurf der Vergewaltigung festgestellt werden müsse, ob das „Nein“ von einer Nötigung begleitet wird. Doch mit solchen Feinheiten hält sich Stokowski nicht auf; sie bestätigt mit ihrem Text lieber das Bild der „überemotionalen, leicht reizbaren Frau“, dessen Verbreitung sie ausgerechnet Fischer bezichtigt. So schreibt sie, dass man doch gefälligst nachfragen könne, wenn man eine andere Person „penetrieren oder lutschen“ wolle, dass zudem wohl niemand (gemeint sind wohl Vertreterinnen des weiblichen Geschlechts) ernsthaft „Bock“ haben könne, mit dem Frauenfeind Fischer zusammenzuarbeiten, und auch der Hinweis auf den Schlag in „die Fresse“, den dieser mit seinen Texten den Opfern verpassen würde, darf natürlich nicht fehlen.

Schließlich versucht sich die Kolumnistin auch noch an der Volte, Gina-Lisa Lohfink, derzeit in Berlin wegen falscher Verdächtigung vor Gericht, gegen Anfeindungen durch Herrn Fischer zu verteidigen, die es überhaupt nicht gegeben hat. Es ist bizarr: Ausgerechnet Stokowski, die (richtigerweise!) nimmermüde betont, Frauen sollten doch bitte nicht auf ihr Geschlecht reduziert werden, stört sich an Fischers Feststellung, dass es Damen gibt, die genau dies zu ihrem Beruf gemacht haben. Der Bundesrichter hatte diese Tatsache mit der Formulierung auf den Punkt gebracht, Lohfinks Profession bestehe im „Vorzeigen von dicken Silikonbrüsten“. Wer das Privatfernsehen und die Boulevardpresse auch nur streift, der weiß, dass diese Beschreibung der Wahrheit sehr nahe kommt. Doch Stokowski möchte in diesen Worten mangelnden Respekt für Frau Lohfink erkennen, schlägt alternativ die Bezeichnungen „Schauspielerin“ oder „Sängerin“ vor. Menschen, denen auch nur entfernt etwas am Gesang oder an der Kunst des Schauspiels liegt, können diese Vorschläge nicht ernst nehmen.

Eigentlich brauchen Schlachten wie die hier nachgezeichnete keine weiteren Parteigänger; sie führen zu nichts, weil immer mindestens eine Seite nicht gewillt ist, richtig zuzuhören. Wer diese Rolle im vorliegenden Fall ausfüllt, ist hoffentlich hinreichend begründet worden. Mittlerweile hat Herr Fischer Frau Stokowski auf SPIEGEL Online geantwortet; der Text hält einige Lacher bereit, doch zu einer (erneuten) Erläuterung, warum der § 177 bereits vor der Reform vollkommen ausreichend war, lässt er sich nicht herab. So bleibt am Ende der Eindruck eines irgendwie traurigen Schauspiels, in dem ein Giftpfeil auf den anderen folgt und als Resultat konstatiert werden muss, dass man einander nicht verstanden hat.

Bezeichnend ist, dass im Zentrum dieses gegenseitigen Unverständnisses der Fall von Gina-Lisa Lohfink steht. Dieser gibt schon einmal einen Vorgeschmack auf jene Zukunft, die mit der Reform des Sexualstrafrechts geebnet wurde. Für diejenigen, die sich auf der Seite des mutmaßlichen Opfers positionieren, geht es einzig um das auf Video gebannte „Hör auf“, nicht mehr um die Gesamtumstände des Geschehens. Das Zauberritual soll gefälligst wirken – und zwar um jeden Preis. Dass ein Gericht längst entschieden hat, dass Frau Lohfink nicht vergewaltigt wurde, spielt da überhaupt keine Rolle mehr. Auch einige Journalisten brauchen die Justiz nicht, um festzustellen, wer in diesem Fall Täter und wer Opfer ist. Erleichtert werden die eigenmächtigen Etikettierungen noch durch das abartige Verhalten der beiden Männer, mit denen Lohfink die Nacht verbrachte. Sie boten bereits am nächsten Morgen die von ihnen gemachten Videos verschiedenen Medienhäusern an. Doch alle Versuche, die Aufnahmen zu Geld zu machen, scheiterten. Vor diesem Hintergrund scheint ein gedanklicher Kurzschluss nur allzu verführerisch: Solchen Moralkrüppeln ist doch ohne weiteres auch eine Vergewaltigung zuzutrauen!

Doch so einfach ist es eben nicht, auch wenn längst sogar manch ein Politiker, die Menschen dies glauben lassen möchte. So ergriff etwa Manuela Schwesig Anfang Juni Partei für Lohfink und forderte bereits im nächsten Atemzug die Verschärfung des Sexualstrafrechts. Man kann diese Einmischung als armseligen Profilierungsversuch einer Bundesministerin abtun, aus deren Ressort ansonsten kaum etwas zu vernehmen ist. Man kann es allerdings auch als eine Ungeheuerlichkeit ansehen, dass eine Ministerin sich das Recht nach ihrem Gusto hinbiegt, um während eines laufenden Verfahrens Stimmungsmache zu betreiben. Und wenn die Emotionen erst einmal zum Köcheln gebracht wurden, wenn für Argumente kaum noch jemand zugänglich ist, wenn es irreführend nur noch um die Frage geht „Sollen Frauen weiterhin Freiwild bleiben?“, wer wird sich dann noch gegen eine Reform aussprechen? Doch nur der, dem ein politischer Selbstmord verführerisch erscheint.

Letztlich macht es den Eindruck, als wiederhole sich hier ein Muster, in das sich viele Befreiungsbewegungen verstricken: Was als wichtiges und legitimes Anliegen beginnt, schlägt genau dann in einen quasi-religiösen Eifer um, wenn diejenigen, die ‚befreit‘ werden sollen, dies schon sind oder sich gegenüber einer weiteren ‚Befreiung‘ gleichgültig bis ablehnend zeigen. So erging es dem Kommunismus, so ergeht es momentan dem Feminismus. Sicherlich, auch im Jahr 2016 gibt es noch Baustellen, die ein gleichberechtigtes und gewaltloses Miteinander der Geschlechter betreffen. Doch gerade weil die Frau heute nicht mehr Verfügungsmasse des Mannes ist, wirkt es so befremdlich, wie einzelne Feminist(inn)en stellvertretend für ein ganzes Geschlecht sprechen. Die Vorkämpfer(innen), die sich stets so sicher sind für die gute Sache einzutreten, haben gewissermaßen die Rolle des Patriarchats eingenommen. In ihrer Gewissheit, die Wahrheit zu kennen, und in ihrem Anspruch, die Deutungshoheit zu haben, ähneln sie den alten Herren von vorgestern. Wie diese drücken sie jedoch nur im Namen anderer die eigene Agenda durch. Sie müssen erst noch begreifen, dass die Frau gegenwärtig längst nicht mehr so schwach, wehr- und willenlos ist, wie sie es sich wünschen (es vielleicht auch nie gewesen ist).

Wahrscheinlich aber wollen sie das gar nicht verstehen, baut doch ihre Bedeutung einzig auf dieser Rolle als selbsternannter Vormund ihrer Geschlechtsgenossinnen auf. Es steht zu befürchten, dass erst dann Ruhe einkehrt, wenn die nun festgeschriebenen Zauberrituale in Handfesteres verwandelt werden. In den USA schlug eine Kolumnistin jüngst vor, dass Frauen stets geglaubt werden solle, wenn sie eine Vergewaltigung anzeigten; der Schaden eines ungesühnten Verbrechens sei größer als der einer falschen Anschuldigung. Das wäre doch auch ein Plan für den blinden Aktionismus hierzulande: Unter dem Banner „“Vergewaltigung“ bedeutet Vergewaltigung“ würde dann die Avantgarde aus Opferanwält(inn)en, Feminist(inn)en und kurzsichtigen Politiker(inne)n dem Ende des Rechtsstaates entgegenstürmen – gewillt, die Unschuldsvermutung in den Staub zu treten und die Beweislast endlich umzukehren.

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