Steile Thesen sind eine dankbare Einrichtung, bieten sie doch große Angriffsflächen. Derart exponiert hat sich vor einigen Jahren der französische Literaturwissenschaftler Pierre Bayard: Ausgerechnet (oder konsequenterweise) der professionelle Leser behauptet, es sei nicht notwendig, Bücher gelesen zu haben, um über sie zu sprechen – mitunter sei die Lektüre gar schädlich für die Kommunikation. Bildung bestehe vielmehr darin, Texte einordnen zu können, anstatt sich in ihren Details zu verlieren. Dass sich hierfür allerdings ein Überblick angeeignet werden muss, dass es zudem Texte gibt, die Erwartungshaltungen hintergehen, dass schließlich über das bloße Einordnen geschlossene gesellschaftliche Räume (Echokammern) entstehen können, in denen Ideologisches am lautesten tönt – all dies flackert bei Bayard nur am Rande auf. Ein Beispiel für eine solche Kakophonie in der geschlossenen Echokammer liefert die (Nicht)Lektüre des Werks von Ernst Bloch durch Joachim Fest.
Dem öffentlichen Umgang mit Büchern – insbesondere in bürgerlichen Kreisen – täte mehr Aufrichtigkeit gewiss gut. Der Kanon, der ohnehin mehr Herrschaftsinstrument für den machtbewussten Karrieristen denn taugliche Lektüreliste für das sich entfaltende Individuum ist, wird auch von seinen Verfechtern millionenfach hintergangen. Dass die Klassiker ungelesen im Regal verstauben, fällt nicht weiter ins Gewicht, weil es um die gesellschaftliche Atmosphäre derart bestellt ist, dass die Lektüre ungefragt vorausgesetzt wird. Kommt das Gespräch doch einmal auf das eine oder andere Buch, so kann sich der gebildete Mensch – laut Bayard – auf seine Fähigkeit verlassen, das einzelne Werk in die Gesamtheit aller Bücher (kollektive Bibliothek) einordnen zu können. Diese Systematisierungsarbeit werfe immer ein paar kluge Sätze ab, mit denen man sich aus der Affäre stehlen könne.
Die Antwort auf die Frage, wie eine Aneignung dieser kollektiven Bibliothek stattfinden soll, ohne zu Büchern greifen zu müssen, bleibt Bayard allerdings schuldig. Sicherlich können Gespräche, Vorträge, Filme oder Zeitungen hierbei helfen; ganz auf Bücher zu verzichten, wird wahrscheinlich jedoch nicht möglich sein. Der Masochist kann zu einer der übelsten Arten von Lektüre greifen: unendlich dröge Überblicksdarstellungen sowie mit Gewalt verdichtete Einführungen, aus denen jeder Freiraum für das eigene Nachdenken entwichen ist. Wer sich durch sie hindurchquält, wird mit nicht viel mehr als einem Trostpreis entlohnt: Er oder sie hat nun einen Joker parat, um Situationen zu entkommen, in denen versucht wird in den eigenen Bildungslücken zu bohren. Mehr als sich unentlarvt aus der Affäre zu ziehen, ist in der Regel nicht drin (Bayard würde an dieser Stelle entschieden widersprechen – dazu jedoch später mehr). Auch wenn er die Lächerlichkeit einer Scheinwelt anspricht, in der jeder jedem etwas über seine Belesenheit vormacht, deutet bereits der Titel seines Buches an („Wie man über Bücher spricht, die man nicht gelesen hat“), dass Bayard den zweiten Schritt vor dem ersten macht. Zuerst gilt es die Unmengen an heißer Luft aus der Gesellschaft entweichen zu lassen, ehe der selbstbewusste und gewandte Nicht-Leser eingesetzt wird, der nicht durch beliebige Gemeinplätze an der Zementierung jener Scheinwelt teilhat, sondern auf ihre Demontage hinwirkt.
An deren Anfang steht das Bekenntnis dieses oder jenes Buch nicht gelesen zu haben; es muss ohne soziale Ächtung bleiben, wie sie etwa eine Figur aus David Lodges Roman „Ortswechsel“ erfährt (unter Bayards Beispielen eines der unterhaltsamsten): In einer Abendgesellschaft von Professoren wird ein Erniedrigungsspiel vorgeschlagen: Jeder muss ein Buch nennen, in das er oder sie noch nie einen Blick geworfen hat. Je mehr der anderen Anwesenden das Buch gelesen haben, desto mehr Punkte gibt es. Howard Ringbaum, ein Professor für Englische Literatur, der noch ohne Festanstellung ist, sieht sich einem echten Dilemma ausgesetzt: Er möchte nicht als ungebildeter Hobel dastehen (was ihm die Nicht-Lektüre eines Klassikers zwingend nahelegt – da ist er ganz Kind seines Milieus), kann allerdings auch äußerst schlecht verlieren. Nachdem er das Spiel zögerlich beginnt mit weitestgehend unbekannten Büchern aus dem 18. Jahrhundert, holt er schließlich in der dritten Runde zum großen Schlag aus, indem er verkündet, er habe „Hamlet“ nicht gelesen. Die anderen Professoren glauben ihm nicht, woraufhin das Spiel zu entgleiten beginnt: „Ob wir ihm eine Lüge unterstellen wollten, hat er gefragt, was Sy [ein anderer Professor] mehr oder weniger bejahte. Woraufhin Howard sich in eine richtige Wut hineinsteigerte und heilige Eide schwor, daß er in seinem Leben noch keine Zeile Hamlet gelesen hätte. (…) Inzwischen waren wir vor lauter Peinlichkeit alle stocknüchtern geworden. Howard zog ab, und wir standen noch eine Weile herum und versuchten so zu tun, als ob nichts passiert wäre.“ (zitiert nach: Bayard, Pierre, Wie man über Bücher spricht, die man nicht gelesen hat, München 2007, S. 155.) Ringbaums Bekenntnis bleibt nicht ohne Folgen: Dass er Shakespeares Drama nicht gelesen hat, macht an der Universität schnell die Runde; wenige Tage später wird ihm schließlich die Festanstellung versagt.
Bayard möchte die Scheinhaftigkeit des akademischen Milieus, gegen die Ringbaum verstieß, nicht als abzubauendes Hindernis, sondern als Schutzraum verstanden wissen. Erst die Unsicherheit, ob ein Buch gelesen wurde oder nicht, erlaube auch dem Nicht-Leser sich an einer Diskussion über ein Buch zu beteiligen. Tatsächlich ist das Gegenteil korrekt: Nur wer bekennt, ein Buch nicht gelesen zu haben, kann wirklich Neues erfahren. Angenommen Howard Ringbaum, der „Hamlet“ nicht gelesen, jedoch die Verfilmung von Laurence Olivier gesehen hat, würde auf jemanden treffen, der das Stück gelesen hat, Oliviers Film allerdings nicht kennt. In der Aufrechterhaltung des von Bayard angenommenen Schutzraumes würden sich die beiden auf Gemeinplätzen treffen, die Film und Buch bereitstellen. Wie sehr stellt dies die Schrumpfstufe einer Auseinandersetzung mit Shakespeares Drama dar gegenüber einem Gespräch, in dem beide ihre jeweilige Unkenntnis eingestehen und gerade deshalb von dem anderen etwas lernen können. Die Wahrheit, dass Bildung nicht darin besteht, den Kanon in all seinen Verästelungen herunterbeten zu können, dass zudem auch ohne die Lektüre bestimmter Klassiker Kluges über diese Bücher gesagt werden kann, sollte keine stillschweigende, sondern eine vernehmbare Voraussetzung im Umgang mit Büchern sein.
Was Bayard als Schutzraum bezeichnet, ist tatsächlich oftmals eine Echokammer für halbgare und redundante Informationen, die vornehmlich zum Zweck der sozialen Inzucht kursieren. Man versichert sich gegenseitig der kanonischen Lektüren und redet an den Büchern doch immerzu vorbei (an dieser Stelle würde Bayard zustimmen – doch auch hierzu später mehr). Alle Texte, die Erwartungshaltungen brechen, die sich also querstellen zur kollektiven Bibliothek (und nahezu alle guten Texte tun dies), sind in Bayards Schutzraum dazu verdammt, ignoriert zu werden oder in unsinnigem Geschwafel unterzugehen. Stattdessen richtet man sich ein im kulturellen Packeis, in dem es weder vor noch zurück geht; hier hat das Alte – die gestockten Wahrheiten der Vergangenheit – bis an das Ende aller Tage eine Heimstatt. Wo jedoch der Vergleich fehlt, man sich stattdessen der Statik ergibt, wird das Gespräch über Bücher zum Klatsch degradiert; das Alte wird lediglich mit einem frischen Anstrich versehen – es macht nur den Anschein eines Neuen (vgl. Schmidt, Burghart, Am Jenseits zu Heimat. Gegen die herrschende Utopiefeindlichkeit im Dekonstruktiven, Darmstadt/Wien 1994, S. 41.). Bestenfalls kann Progression in Bayards Schutzraum simuliert werden, tatsächlich geht es in ihm zu jeder Zeit stockkonservativ zu. Dies hat auch mit Herrschaft zu tun: Wo auf Fragen die immergleichen Antworten folgen, ist zumeist die Hierarchie ähnlich erstarrt wie die Diskussion. Deshalb wird die Echokammer gerne verbarrikadiert – es wird ein beherrschbarer Mikrokosmos geschaffen.
Die geistige Unbeweglichkeit kann schließlich in einen Zustand münden, in dem von den Texten vollkommen abstrahiert wird: Das Urteil ist gefällt, lange bevor auch nur ein Wort eines Buches gelesen wurde. Bayard hält auch hierfür ein Beispiel parat; es ist Graham Greenes Roman „Der dritte Mann“ entnommen: Die Hauptfigur Rollo Martins schreibt Groschenromane, vornehmlich Western. Er veröffentlicht diese unter dem Pseudonym Buck Dexter. Bei seiner Reise nach Wien verwechselt ihn die Kulturabteilung der Botschaft mit einem berühmten Romancier gleichen Nachnamens. Martins deckt das Missverständnis nicht auf, es hat ihm immerhin ein Hotelzimmer eingebracht. Schließlich wird er von der Kulturabteilung zu einem Vortrag gedrängt. Dort muss er nun Fragen zu Büchern beantworten, die er nicht geschrieben, ja noch nicht einmal gelesen hat. So wird er etwa auf die Technik des Bewusstseinsstroms angesprochen, worauf er nur entgegnet, was dies denn für ein Strom sei; auf die Frage, welcher Schriftsteller ihn am stärksten beeinflusst habe, folgt die Nennung eines anderen Autors von Trivialliteratur; Shakespeare wird von ihm kurzerhand als volkstümlicher Unterhaltungsschriftsteller abgetan (was so falsch sicherlich nicht ist), während er zu James Joyce bekennt: „Ich habe noch nie von ihm gehört. Was hat er denn geschrieben?“ (zitiert nach: Bayard, Wie man über Bücher spricht, die man nicht gelesen hat, S. 94.)
All diese Antworten und Bemerkungen, die von Grund auf ehrlich sind, haben das Potential Martins zu entlarven. Sie tun es jedoch nicht, weil es den Bewunderern des Romanciers Dexter überhaupt nicht um dessen Texte geht. Sein Name ist mit derart viel Prestige beladen, dass jeder Kommentar – egal wie abwegig – zu einem Ausweis von Verschrobenheit, Humor und Originalität wird. Martins könnte noch weitere Frischluft dem abgestandenen Dunst der Echokammer hinzuzufügen versuchen, es würde sich dennoch kein Zug regen. Er könnte den Anwesenden gar einen seiner eigenen Romane in die Hände drücken, sie würden es als einen gelungenen Scherz des berühmten Schriftstellers feiern. Kein Text kann dem in der Echokammer tönenden Gemisch aus Halbinformationen, griffigen Scheinsentenzen und vorgefertigten Meinungen beikommen; einzig das Lüften der Identität von Rollo Martins wäre hierzu in der Lage.
Heimisch in solchen Echokammern ist vor allem das konservative Lager, wissen dessen Vertreter doch, dass das Bestehende unbedingt bewahrt werden muss; der Zweifel ist ihnen suspekt. Zu diesem Lager gehörte auch Joachim Fest, dessen (Nicht)Lektüre des Werks von Ernst Bloch ein Beispiel jenseits des Buches von Pierre Bayard liefert. Es illustriert all die Probleme, die der Literaturwissenschaftler so großzügig beiseitegeschoben hat. Dass Fest Blochs Texte nicht gelesen hat, ist natürlich eine Unterstellung, die allerdings nicht vollkommen haltlos daherkommt, sondern insbesondere sein Buch „Der zerstörte Traum. Vom Ende des utopischen Zeitalters“ nahelegt. Da Fest auf vergleichsweise geringem Raum eine solche Vielzahl an falschen Annahmen und Fehlschlüssen unterbringt, erscheint es sinnvoll, sich nicht den Einzelfällen zu widmen, sondern dem ihnen zugrundeliegenden Problem. Es besteht darin, dass Fest einen Utopiebegriff, der sich an Material aus dem 16. und 17. Jahrhundert formt, unreflektiert und entgegen unzähliger widersprechender Signale auf Blochs Texte anwendet. Hierbei handelt es sich um ein Verständnis der Utopie, das sich an der Alltagssprache orientiert, diese folglich als ein unrealisierbares Wunschbild fasst – als Wolkenkuckucksheim. Bloch setzt dem das Konzept der (paradox anmutenden) konkreten Utopie entgegen, womit das gegenwärtig Realisierbare bezeichnet ist, während das großangelegte Wunschbild nur mehr zur Orientierung für eine ‚Politik der kleinen Schritte‘ am Horizont steht.
Fests Problem ist, dass er sich auf seine Bildung verlässt – und zwar gerade in Gestalt des von Bayard beschriebenen Einordnens von Texten auf Grundlage bestimmter Signale oder in der Öffentlichkeit kursierender Stichwörter. Diese Kategorisierungskunst mag eine noch so hohe Trefferquote haben, sie wird von allen Texten, die etwa Begriffe modifizieren, aufs Glatteis geführt. In Fests Fall scheppert es beim Sturz derart gewaltig, dass das Eis bricht – der Autor säuft mitsamt seinem Text jämmerlich ab. Beim Untergang (was im Zusammenhang mit dem Historiker Fest nicht als geschmackloses Wortspiel verstanden werden sollte) können noch kurz die Höhepunkte seines Fehlerfestivals besichtigt werden. So stellt er Bloch etwa in die Tradition des Messianismus, sieht in ihm einen Verführer der Jugend, der mit seinem „expressionistischem Brausen“ (Fest, Joachim, Der zerstörte Traum. Vom Ende des utopischen Zeitalters, 3. Aufl., Berlin 1991, S. 67.) in der Sprache unmittelbar nach ’45 gleich den nächsten Pfad in Richtung Totalitarismus aufgezeigt hätte; alles in allem sei Blochs Werk nichts anderes als ein „monströser Anachronismus“ (ebd., S. 78.), der sich durch ein starres Schwarz-Weiß-Denken auszeichnen würde, womit Fest Bloch nicht nur in geistiger Verwandtschaft zu Stalin, sondern auch zu Hitler sieht.
Wenn die letzte Schlussfolgerung, mit der sich Fest eigentlich selber disqualifiziert, einmal unberücksichtigt bleibt, so lassen sich allein für die Behauptung, Bloch habe ein starres philosophisches System entworfen, das auf einem simplen Entweder-Oder-Denken beruht, so viele Gegenbelege finden, dass Fest unmöglich auch nur einen Blick in Blochs Werk geworfen haben kann. (An dieser Stelle seien nur einige dieser Belege angeführt (auch wenn es ermüdend ist): die Angaben beziehen sich auf: Bloch, Ernst, Gesamtausgabe (GA) in 16 Bänden, Frankfurt am Main 1959-1978: Das Prinzip Hoffnung (GA, Bd. 5), S. 157-159, 226-227, 390. Das Materialismusproblem, seine Geschichte und Substanz (GA, Bd.7), S. 467. Tübinger Einleitung in die Philosophie (GA, Bd. 13), S. 202, 230.) Zudem muss wohl dem Historiker Fest nicht gesagt werden, dass das nüchterne Stakkato aus Befehl und Gehorsam in der Geschichte weit mehr Schaden angerichtet hat als irgendeine „brausende Sprache“ (der bei Bloch zudem jede Form von Gewalt abgeht, sich stattdessen durch Humanität auszeichnet). Die Deutschen etwa mussten nicht erst verführt werden – sie haben den Weg zum Massenmord weitestgehend freiwillig eingeschlagen.
Was eigentlich ausbleiben sollte, ist nun doch begonnen worden – die Verhandlung des Einzelfalls. Wesentlich allerdings ist, dass all diese Misstöne in einem fort dröhnen in der Echokammer des Fest’schen Konservativismus. Es geht um alles und jeden – um Hitler, Stalin, Thomas Müntzer, um den Messianismus und den Marxismus – nur um die Texte von Ernst Bloch geht es nicht. Diese Echokammer ist in keinerlei Hinsicht hilfreich; sie ist auch kein Schutzraum für die Bildung, höchstens Kreißsaal für deren Missgeburten sowie Nährboden für Ideologie – und zwar im marxistischen Sinne verstanden als falsches Bewusstsein der Realität. Auf die Frage, warum Fest diesen Unfug veröffentlichte, gibt es (mindestens) drei mögliche Antworten: Er hat Bloch gelesen, aber nicht verstanden, was unwahrscheinlich ist; er hat ihn gelesen und dennoch verteufelt (mit gezielten Falschinformationen), was boshaft wäre; oder aber er hat ihn nicht gelesen und sich bei der Bewertung auf seine Bildung verlassen. Es ist unschwer zu erkennen: In diesem Text wurde sicherlich unter drei uncharmanten Antworten bereits die charmanteste ausgewählt.
Diese führt zurück zu Pierre Bayards Einlassungen über das Nicht-Lesen, wobei noch zwei Vertröstungen einzuholen wären. Es ist behauptet worden, Bayard würde der These widersprechen, man könne sich in der Diskussion über ein ungelesenes Buch lediglich aus der Affäre ziehen. Vielmehr würde er zustimmen, dass die Menschen unentwegt aneinander als auch an den Büchern vorbeireden. Tatsächlich ist letzteres für Bayard der Normalfall, den er nicht verdammt, sondern begrüßt; aufgrund der Sozialisation, die für jedes Individuum unterschiedlich ausfällt, aufgrund verschiedener Erfahrungen sowie Lektüren geht er davon aus, dass jeder Mensch aus einem gegebenen Text sein ganz eigenes Buch (inneres Buch) konstruiert. So korrekt diese Argumentation in ihren Grundzügen ist, so falsch wird sie in der Radikalität, der sie bei Bayard ausgesetzt ist: „Was wir für gelesene Bücher halten, ist ein bunter Haufen von Textfragmenten, verformt durch unsere Imagination, ohne Beziehung zu den Büchern der anderen, wenn sie auch materiell mit denen identisch sein mögen, die wir in der Hand gehabt haben.“ (Bayard, Wie man über Bücher spricht, die man nicht gelesen hat, S. 112.) Gäbe es keine Schnittmengen zwischen den inneren Büchern der Menschen, würde es zu vollkommener Unverständlichkeit in der Auseinandersetzung mit Texten kommen. Dies widerspricht nicht nur alltäglichen Erfahrungen – ebenso wie es Schnittmengen in der Sozialisation gibt, existieren auch welche bei der Lektüre von Texten -, es würde auch Fests ideologischen Brei, dem jeder Nährstoff entzogen ist, in den Rang einer Normalität erheben – was gewiss zu viel der Ehre wäre.
An diesem Punkt wird Bayards These folglich zu steil – die Schlussfolgerungen beginnen abzurutschen. Das macht seinen Text nicht schlecht; im Gegenteil, es macht ihn sogar besser: Für jeden Beitrag, an dem man sich abarbeiten kann, sollte man gegenwärtig dankbar sein. Dies gilt im Prinzip auch für Fests Überlegungen zu Bloch – vorausgesetzt die Barrikade der Echokammer wird aufgehoben, sodass Gegenstimmen Einlass finden.