20.06.2020 / 12:04

Die strauchelnde Zukunftshoffnung der Union im Rückzugsgefecht: „Die Kontroverse, die sich mit meiner beendeten Nebentätigkeit für das Unternehmen Augustus Intelligence verbindet, war ein Fehler.“ Philipp Amthor bedauert weder seine nebulöse Lobbyarbeit noch den Schaden, den er damit dem Ansehen der Demokratie zugefügt hat; er bedauert auch nicht seinen Unwillen, reinen Tisch zu machen und offene Fragen zu beantworten (hält dieser doch hartnäckig an). Nein, Amthor bedauert, erwischt worden zu sein, und noch mehr bedauert er, dass die Öffentlichkeit seine dubiosen Nebentätigkeiten auch noch interessiert, dass es eine „Kontroverse“ gab; und das auch noch über einen Sachverhalt, den er doch schon „beendet“ hatte. Das Eingeständnis eines Fehlers ist tatsächlich Opferklage; Amthor ist übel mitgespielt worden, so liest sich obiger Satz. Zumindest was derlei Dinge angeht, gilt: Wie sehr wird man die Kanzlerin vermissen, wenn Herren vom Schlage Amthor schon bald (wieder) das Sagen in der CDU haben werden.

19.10.2020 / 16:23

Anfang November 2004, Wahlnacht in New York City: „Trotz ihrer Intelligenz, ihrer Artikuliertheit, ihres Savoir-faire und Jamies Vertrautheit mit dem reichen republikanischen Amerika und der Unwissenheit, wie man sie in Texas fand, hatten sie keine Ahnung, welcher Art die Menschen waren, die die große Masse der Amerikaner ausmachten, und ebensowenig war ihnen zuvor so deutlich bewusst gewesen, dass es nicht die Gebildeten wie sie selbst waren, die den Kurs des Landes bestimmten, sondern die vielen Millionen, die anders waren als sie, deren Lebenswelt sie nicht kannten und die Bush ein zweites Mal Gelegenheit gegeben hatten, ‚etwas sehr Großes zu zerstören‘, wie Billy es ausgedrückt hatte.“ (Philip Roth, Exit Ghost, 2. Aufl., Reinbek bei Hamburg 2011, S. 101) Kurz darauf, Bush der Jüngere hat die Wahl gewonnen, John Kerry verloren, geht ein Schluchzen durchs fiktive New York. Besser wäre es gewesen, das liberale Amerika hätte zu dieser Zeit bereits seine eigene Unwissenheit beweint als die der Mitbürger aus dem ‚Heartland‘. So hat sich der blinde Fleck erhalten können, umso besser je größer der Heilsbringer Obama gemacht wurde. Der Schreck von 2016 hatte seine Vorgeschichte, hätte folglich gar nicht als solcher daherkommen müssen. Viel gelernt scheinen sie an der Ost- und Westküste auch in den vergangenen vier Jahren nicht zu haben, Unwissenheit persistiert. Und der größtmögliche Fehler wäre es, einen Sieg Bidens als ein Aufwachen aus einem Albtraum misszuverstehen. Die Arbeit begänne dann erst, der sich liberale Milieus und Demokratische Partei seit Jahrzehnten so hartnäckig verweigern.

28.10.2020 / 17:03

Text des Philosophen Christoph Türcke im Merkur zu den Paritätsgesetzen in Brandenburg und Thüringen: Die gesetzliche Verordnung der Gleichstellung auf den Wahllisten der Parteien zeigt sich wesensverwandt mit neoliberaler Wirtschaftsdoktrin. So wie es allen besser gehen soll, wenn es denn den großen Unternehmen gutgeht, so soll die Gleichberechtigung gesellschaftlich durchsickern, wenn erst einmal auf den obersten Posten ein 50:50 Verhältnis zwischen den Geschlechtern eingerichtet ist. Laut Türcke liegt in beiden Fällen ein Irrglaube vor: Die mühsame (wie unbedingt notwendige) Arbeit an einem Bild von Männlichkeit, das die Frau nicht gleichberechtigt neben sich akzeptieren kann, wird übergangen mit dem Wunderglauben ans Recht, das qua Niederschrift in der Lage sein soll, auch die Menschen stante pede zu verändern. Letztlich steckt dahinter die Erklärung eines Scheiterns: Anders können wir es nicht! Gewichtig auch der Hinweis Türckes, wo aufzuhören wäre mit der Parität, wenn hinsichtlich des Geschlechts erst einmal mit ihr begonnen wäre: Könnten dann nicht auch Juden, Muslime, Behinderte, Homosexuelle etc. (buchstäblich) mit Recht den ihnen zustehenden Listenanteil einfordern? „Es gibt kaum mehr ein Halten, wenn die Pandorabüchse der Gleichstellung durch Paritäten einmal geöffnet ist. Artikel 3 GG wird dann zu etwas, was seinen Urhebern völlig fern lag: ein Brutkasten für Quoten.“ Parlamentarisch hätte dies die Ausrichtung des Abgeordneten auf ein Partikularinteresse zur Folge, eine umfassende Lobbydemokratie also, die mehr an Ständeversammlungen frühneuzeitlichen Zuschnittss erinnerte als an modernen Parlamentarismus. Empathie wäre dann ad acta gelegt, der Gedanke, ein Abgeordneter sei allen Menschen verpflichtet, verflüchtigte sich, Betroffenheit träte an die Stelle von Kompetenz, weil nur der für tauglich anerkannt würde, der Benachteiligung durch seine Person beglaubigen kann.

13.11.2020 / 20:11

Zuerst beim Plagiieren ertappt, dann (deshalb) politisch in der Bredouille, will Franziska Giffey in Zukunft auf das Führen ihres Doktortitels verzichten. Im Zuge der edlen Geste verdoppelt sie sich unversehens: „Wer ich bin und was ich kann, ist nicht abhängig von diesem Titel. Was mich als Mensch ausmacht, liegt nicht in diesem akademischen Grad begründet.“ Es sei jedem Betrüger vor Gericht angeraten, einmal ein solches Abspaltungsmanöver zu erproben – um hoffentlich schallendes Gelächter zu ernten. Bleibt die Frage: Wenn es der Mensch Franziska Giffey nicht war, wer dann? Der Fisch? Das Reptil? Der Unischerheit in dieser Hinsicht kontrastiert die Entschiedenheit, mit der die Angelegenheit nun ad acta gelegt werden soll: Sie sei, so Giffey, „nicht gewillt, meine Dissertation und das damit verbundene nun neu aufgerollte Verfahren weiter zum Gegenstand politischer Auseinandersetzungen zu machen“. Man merkt, der Ministerin ist übel mitgespielt worden; die Täterin macht sich zum Opfer. Doch unterliegt glücklicherweise die Behandlung der Frage, was das Plagiieren der Wissenschaftlerin Franziska Giffey über die Politikerin aussagt, nicht dem Willen der Betroffenen. (Hier haben wir’s im Übrigen: Weder das Reptil noch der Fisch ist es gewesen, sondern die Wissenschaftlerin – als solche, versteht sich, zugleich Nicht-Mensch; jedem, der einmal eine Universität von innen gesehen hat, ist das unmittelbar begreiflich.)